Samstag, 22. Juli 2023

Home Sweet Home

22.07.2023 La Réole - Bordeaux - Paris - Mannheim - Koblenz

Ob es die freudige Erwartung der Heimkehr war oder doch der Lärm auf der Straße, es war auf jeden Fall eine sehr unruhige Nacht. Mehrfach wachte ich auf durch schreckliche Musik aus den benachbarten Wohnungen oder andere unangenehme Geräusche auf. Kurz nach 6 Uhr stehen wir auf und bereiten alles für die Abreise vor, auf das Frühstück verzichten wir, da es einfach zu knapp bis zur Abfahrt des Zuges in La Réole werden könnte. Ich lasse meine Wanderschuhe gleich in der Müllecke stehen, die sind jetzt wirklich am Ende, vor allem ist am rechten Schuh etwas aufgerissen und hält eigentlich nur noch durch die Goretex-Membran. Wir sind dann allerdings so früh am Bahnhof, dass wir einen eine halbe Stunde früher abfahrenden Zug bekommen. Schon bald stellen wir fest, dass dieser Zug nicht alle Bahnhöfe des späteren Zuges anfährt. Es ist wohl im übertragenen Sinne ein Regionalexpress, der uns zudem noch dreißig Minuten schneller nach Bordeaux bringt und natürlich etwas teurer ist. Jedoch fällt die Ticketkontrolle entspannt aus, denn die Zugbegleiterin war wohl der Ansicht, uns bereits kontrolliert zu haben. Da hat uns wieder einmal Jakobus zur Seite gestanden.


In Bordeaux haben wir viel Zeit, die wir überwiegend mit der Suche nach einer Frühstücksmöglichkeit verbringen. Die finden wir dann auch nach intensiver Suche etwas abseits vom Bahnhof. Danach schlendern wir wieder zum Bahnhof und warten auf unseren TGV. Paris erreichen wir pünktlich kurz vor 12 Uhr und haben jetzt noch 80 Minuten Zeit, vom Gare de Montparnasse zum Gare de l‘Est zu gelangen. Am Ende hat das gerade ausgereicht, denn zunächst haben wir zwanzig Minuten in der Pariser Unterwelt verbracht, bis wir am Bahnsteig der Metrolinie 4 stehen. 12 Stationen und weitere 25 Minuten später steigen wir am Gare de l‘Est aus. Toilettengang und Verpflegungskauf folgen. Inzwischen wird für die Abfahrt unseres ICE das Gleis 30 angezeigt und wir stellen uns zum Boarding in die Reihe. Jetzt bleiben uns noch zehn Minuten, bis sich der Zug in Richtung Mannheim um 13:10 Uhr in Bewegung setzt.


Solange wir durch Frankreich mit hoher Geschwindigkeit sausen, läuft alles gut. Kaum sind wir in Deutschland muss der ICE mitten auf der Strecke von dem Bahnhof Saarbrücken anhalten und sammelt ein paar Verspätungsminuten. Ich kontrolliere daraufhin mal meinen Anschlusszug ab Mannheim, der auch schon 10 Minuten später eintrifft. Den Vogel schiesst aber Jörgs Verbindung nach Hause mit einer geschlagenen Stunde Verspätung ab. Er sucht sich einen Ersatzzug, der sogar einen günstigeren Fahrplan hat. Letztendlich fällt sein ursprünglicher Zug sogar komplett aus. Willkommen zurück in Deutschland.




Freitag, 21. Juli 2023

Abschied tut weh

21.07.2023 Sainte-Ferme - La Réole

Der letzte Tag bricht an, und das in Form eines nervenden Hahnes, der bereits um 5:30 Uhr der Ansicht war, das es Zeit zum Weckruf sei. Hat er sich gedacht, aber die Rechnung ohne uns gemacht. Schon gestern Abend war er neben der Spur, als er zur Sandmännchenzeit zu krähen begann. Da es in unserem Schlafraum sehr warm war, wurde kurzerhand der Standventilator aus dem Aufenthaltsraum zu uns gestellt. Damit ließ es sich gut schlafen. Die Bettflucht beginnt dann wie vereinbart um 6 Uhr und eine halbe Stunde später sitzen Frédéric, Jörg und ich mit Claire und Michel am Frühstückstisch. Im Laufe des Morgens erfahre ich dann von den anderen beiden, dass sie mich gerne da behalten würde - weil ich gestern Abend abgetrocknet hatte.

Kurz nach 7 Uhr verabschieden wir uns von den zwei Hospitaleros und ziehen los. Für Jörg und mich ist es die Zielgerade in diesem Jahr, für Frédéric eine weitere Etappe auf seinem Weg nach Santiago de Compostela. Es ist wiederum eher frisch - ideal zum Laufen. So haben wir während unseren Gesprächen erneut einen guten Schritt drauf. Die Strecke ist aber auch für ein flottes Tempo gut geschaffen, es geht zumeist über flache Straßen oder gut befestigte Wald- und Wiesenwege. Wir merken gar nicht wie die Zeit vergeht und legen nach fast der Hälfte der heutigen Etappe an einem idealen Platz eine Pause ein. Frédéric sagt immer, die Deutschen suchen so lange, bis sie ein schönes und komfortables Plätzchen gefunden haben. Da kann ich ihm tatsächlich zustimmen.

Auch der zweite Abschnitt führt uns wieder durch eine herrlich anzuschauen Landschaft, die nur selten von Dörfern bestückt ist. Manchmal halten sogar Leute mit Hund oder Auto an und haben das Bedürfnis, uns anzusprechen. Zum Glück haben wir Frédéric dabei, das macht das ganze einfacher. Nach einem letzten fiesen Anstieg können wir von der Anhöhe auf unser heutiges Ziel La Réole hinabschauen. Es dauert zwar noch eine Weile, bis wir die Vororte der Stadt durchlaufen haben, treffen aber ziemlich genau zum zwölften Glockenschlag an der Église Saint Pierre ein. Die Kirche ist sehr geräumig und hat eine schöne Atmosphäre. Als wir sie betreten, erklingt die Orgel und spielt für uns eine Art Fanfare. Zufall? Nein, nicht auf dem Camino! Es findet wohl gerade eine Probe statt, doch es nerven ein wenig ein paar Kinder, die lauthals durch die Kirche rennen oder auf die Kanzel klettern. Das ist für mich kein Umfeld für ein Ankommen. Für Frédéric anscheinend auch nicht, denn wir verlassen beide die Kirche. Jörg hingegen bleibt noch etwas sitzen und bekommt noch weitere Kostproben zu hören, so unter anderem das "Halleluja" von Leonard Cohen mit Orgel und Gesang.

Wir suchen uns eine Möglichkeit, etwas zu trinken, denn es wird Zeit, sich von Frédéric zu verabschieden. Wir hatten ihn schon ein paar gesehen, aber erst die letzten drei Tage zusammen auf der Strecke verbracht. Es war uns eine Freude, ihn kennengelernt zu haben und ihm zumindest ein kleines Stück seiner Pilgerreise begleiten zu können. Gegen 13 Uhr ist dann der Moment des Abschieds gekommen, denn Frédéric hat noch circa 10 Kilometer vor sich, bis er sein heutiges Ziel in Bassanes erreichen wird. Wir wünschen ihm buen Camino und ein gesundes Ankommen in Santiago.

Für Jörg und mich beginnt nun eine dreistündige Warterei, bis wir in unsere Unterkunft Amañi Hostel einziehen können. Das ist erst um 16 Uhr der Fall. Bis dahin sitzen wir nahe der Garonne und vertreiben uns die Zeit unter anderem mit der Buchung einer Zugverbindung ab Mannheim nach Hause. Den letzten Rest der Wartezeit nutzt Jörg noch mit einem Besuch beim Barbier. Inzwischen gesellt sich eine fünfköpfige niederländische Familie in die Warteschlange, die etwas ungeduldig wirkt. Pünktlich wird das Hostel geöffnet. Beim Betreten wird der Blick frei auf das wunderschöne Treppenhaus des mittelalterlichen Gebäudes, das geschmackvoll in eine Unterkunft mit Schlafsälen und Doppelzimmern umgebaut wurde. Der Eigentümer, ein junger Mann, zeigt uns die Räumlichkeiten, wir bekommen einen Schlafsaal mit sieben Betten - hoffentlich für uns alleine. Mit dem Frühstück wird es morgen knapp, doch wir dürfen schon eine halbe Stunde früher anrücken. Jetzt ruhen wir uns etwas aus, gehen etwas essen und sind froher Erwartung die Rückreise zu unseren Lieben. Und dann gibt es noch eine Zugabe in der Nachbarschaft: dort gibt es ein Konzert mit einer Ein-Mann-Band. Die letzte halbe Stunde davon bekomme ich noch mit und der Typ ist der absolute Hammer, spielt Drums, Keyboards oder Gitarre zugleich. 

Donnerstag, 20. Juli 2023

Voie de Vézelay - erstes Resümee

20.07.2023 Sainte-Foy-la-Grande - Sainte-Ferme (29,3 km, 6:30 Std)

Übliche morgentliche Prozedur: 6 Uhr aufstehen, packen. Eine halbe Stunde später wurden wir von Marie zum Frühstück erwartet, das reichlich ausfiel. Es war so reichlich, dass wir uns erst um 7:20 Uhr loseisen konnten. Wahrscheinlich war das aber wieder einmal eines dieser Camino-Wunder, denn an der nächsten Kreuzung kam aus der Seitenstraße Frédéric. Zunächst hat er uns noch nicht bemerkt, aber wir schließen schnell zu ihm auf. Schön, dass wir uns getroffen haben, denn wir werden heute alle drei in der Pilgerherberge von Sainte-Ferme übernachten. Er hatte nicht ganz so viel Glück mit seiner Bleibe wie wir. Es war alles etwas oldstyle und wohl nicht mit der vorherigen Unterkunft zu vergleichen.

Wie laufen also gemeinsam weiter, laufen durch die ersten Weinberge und links von uns wird die Sonne immer intensiver. Aber auch heute weht uns ein leichter Wind entgegen, der zumindest die gefühlte Temperatur etwas senkt. Um ins herum ist es sehr ruhig, man hört vereinzelte Vögel, manchmal springt in unserer Nähe ein Reh durch die Rebstöcke. Den meisten Lärm machen aber die Hunde an den vereinzelten Höfen, die wir passieren. Ich lasse mich ein wenig zurückfallen, während Jörg und Frédéric sich in einem guten Gespräch befinden. 

Ich verliere mich ein wenig in meinen Gedanken, stelle aber eine unglaubliche innere Zufriedenheit für die vergangenen Tage auf dem Camino in mir fest. Heute ist der vorletzte Tag und wir haben bisher wunderschöne Landschaften durchwandert, haben die Bekanntschaft von tollen Menschen gemacht, aber zu Beginn auch unsere Grenzen erfahren. Die Erfahrungen werden wir für den nächst Abschnitt einfließen lassen.

Unterwegs machen wir zwei kleinere Pausen, um dann um 13 Uhr bei Kilometer 22 in Pellegrue einen etwas längeren Stopp einzulegen. Die letzen sieben Kilometer sollen dann eine Kleinigkeit für uns werden. Wir unterhalten uns wieder sehr intensiv und vergessen dabei die Zeit. Zuweilen laufen wir aber auch mit zwanzig Metern Abstand zueinander, auch das muss zwischendurch sein. Der Weg führt uns wiederum über wenig befahrene Nebenstraßen, Wald- und Wiesenwege. Die Region benötigt auch dringend Regen, der Boden ist sehr trocken und aufgerissen. 

Gegen 16 Uhr erreichen wir Sainte-Ferme. Am Ortseingang befindet sich eine ehemaliges Benediktinerkloster aus dem 13. Jahrhundert, deren Klosterkirche sehr ursprünglich, aber schön ist. Nur zwei Ecken weiter ist die Pilgerherberge, in der wir von Claire und Michel empfangen werden. Claire spricht übrigens richtig gut Deutsch. Es ist eine kleine aber feine Herberge wie in Sorges, in der wir uns direkt aufgehoben fühlen. Wir freuen uns schon auf das gemeinsame Abendessen, das die beiden uns zubereiten. 

Ja und dann hatte ich wieder einmal etwas mitgenommen, das eigentlich total überflüssig war. In diesem Jahr war es unbenutzter Pilgerlass vom letzten heiligen Jahr. In meinem Credencial war eigentlich noch reichlich Platz für Stempel, auch für den folgenden Abschnitt. Im Gespräch mit Frédéric erfuhr ich, dass er auf jeden Fall einen weiteren bräuchte. Und dann war mir sofort klar, wofür ich meinen zusätzlichen Pass verwenden würde. 

Mittwoch, 19. Juli 2023

Königsetappe heil überstanden

19.07.2023 Mussidan - Sainte-Foy-la-Grande (34 km, 7:30 Std)

Die innere Uhr hat uns nicht im Stich gelassen. Um 6 Uhr herrscht bereits in allen drei Zimmern Aufbruchstimmung. Wir werden nicht hier vor Ort frühstücken, sondern das Walnussbrot von gestern Abend und den Camembert unterwegs an einem geeigneten Platz verzehren. Die Belgierinnen lassen sich etwas mehr Zeit, sie werden nicht ganz so weit laufen wie Frédéric und wir. 6:40 Uhr: wir stehen vor der Tor und los geht es. Wir sind erfreut über die kühle Temperatur uns kommen ganz gut vorwärts. Wir unterhalten uns angeregt mit Frédéric und bemerken gar nicht, wie die Kilometer an uns vorbeifliegen. Dann tritt Jörg auf die Bremse und wir machen etwas langsamer. Das macht Sinn, denn mit 34 Kilometern liegt die längste Strecke der diesjährigen Pilgertour vor uns. 

Unser französischer Pilgerfreund läuft nun etwas weiter vor uns, wartet aber auch mal auf uns. Mitten im schattigen Wald macht er dann eine kurze Pause, während wir noch etwas weiterlaufen. Etwas weiter finden wir bei Kilometer 12 an einem Marienbildstock einen Pilgerrastplatz, den wir gerne annehmen. Der Käse schmeckt hervorragend mit dem Walnussbrot. Dann sehen wir Frédéric auf uns zu kommen, er grinst und sagt, das er das von den Deutschen kenne, sich etwas bequemes zu suchen, um Pause zu machen. Wir lachen alle herzhaft. 

Wir pausieren noch etwas und Frédéric geht weiter. Nach zwanzig Minuten packen wir auch zusammen und gehen wieder auf die Piste. Unser nächstes Ziel wird der Campingplatz Bazanges sein. Diesen erreichen wir kurz nach 12 Uhr, wir haben jetzt etwas mehr als einen Halbmarathon hinter uns. Am Campingplatz kommt uns Frédéric entgegen, er hatte schon zwei Kaffee getrunken. Jörg und ich haben uns inzwischen entschieden, morgen die längere Strecke nach Saint-Ferme zu machen und fragen ihn, ob er uns bei der Reservierung behilflich sein könnte. Kalt, macht er. Bei dem Telefonat kommt dann heraus, das unsere Gastgeberin richtig gut Deutsch spricht. Wir verabschieden uns von Frédéric, der noch darauf hinweist, dass es in Port-Sainte-Foy-et-Ponchapt einen Strand gibt, vielleicht sehen wir uns dort, aber spätestens morgen in der Herberge. Wir trinken noch ein Cola-Bier und machen uns dann gegen 13 Uhr auf die letzten 12 Kilometer.

Diesen Abschnitt verlangt noch einmal einiges von uns. Es sind einige Steigungen zu bewältigen und die Sonne wird zudem wieder stärker. Wir haben Glück, dass der Wind etwas von der gefühlten Hitze wegnimmt und so das Gehen etwas angenehmer macht. Nun befinden wir uns allmählich in dem hiesigen Weinanbaugebiet, wo vor allem weiße Trauben wachsen. Auf Höhe eines Gite d‘étape in Calabre, wo wir eigentlich ursprünglich übernachten wollten, verlaufen wir uns erstmals in diesem Jahr. Ausgerechnet an dem entscheidenden Abzweig fehlt eine Markierung und wir laufen geradeaus weiter. Zum Glück bemerkt Jörg sehr schnell, dass etwas nicht stimmt und wir kehren um. Ansonsten ist die Markierung des Weges vorbildlich.

Durch Weinberge geht es allmählich abwärts an den Fluss Dordogne, der ziemlich flach in seinem Bett dahinfließt. Mehrere Angler stehen mitten im Fluss und hoffen auf einen guten Fang. Wir passieren den Strand, der aber für uns zu weit entfernt ist, und überqueren danach den Fluss nach Sainte-Foy-la-Grande. Nicht weit von der Brücke befindet sich unsere Unterkunft L‘Esprit d‘Enzam, die wir um 15 Uhr erreichen. Unsere Gastgeberin Sandrine kommt etwas später, wir werden von der Familie begrüßt und in unser sehr geräumiges Zimmer geführt. Wir können sogar unsere Wäsche in der Maschine waschen und bekommen etwas zu essen. Es war ein schöner Abend im Kreise der Familie, wir wurden richtig verwöhnt. Dabei erfahren wir auch, dass die Großmutter von Sandrine aus Alzey stammt. Die Welt ist halt ein Dorf.