Montag, 18. Juni 2018

Lugo: rauhe Schale, süßer Kern

8. Etappe: Castroverde - Lugo (23,4 km, 4:45 Std)
Das war wieder eine Nacht, wie man sie sich nicht wünscht. In meinem Schlafraum gab es wieder ein paar hochkarätige Schnarcher, die mich nicht zur Ruhe haben kommen lassen. Irgendwann bin ich anscheinend doch eingeschlafen, aber bereits um 4:30  Uhr drohte das nächste Unheil. Dann begannen nämlich die ersten, ihre Rucksäcke zusammenzupacken und sich auf den Weg zu machen. Es ist mir zwar ein Rätsel, wie man für eine Etappe, die etwas über 20 km geht, schon so früh und vor allem im Dunkel losmarschieren muss. Den Gipfel hat aber eine spanische Familie abgeschossen, die fast eine ganze Stunde gebraucht hat, in unserem Schlafraum ihre Sachen zusammenzupacken. Das Highlight war dann noch, als sie sich dann von einem Auto haben abholen lassen. Heute Morgen scheint es einen schönen Tag zu geben, der Himmel ist bereits blau, kein Wölkchen ist zu sehen und bei der aktuellen  Temperatur lässt es sich schon sehr angenehm laufen. Ich starte bereits um 7:00 Uhr. Anhand der im Schuhregal vorhandenen Schuhe stelle ich fest, dass noch höchstens vier oder fünf andere Pilger in der Herberge sein können. Zunächst laufe ich durch eine Wiesenlandschaft und danach durch ein größeres Waldstück. Die Natur erwacht allmählich und es riecht nach frisch gemähtem Heu. Als ich dann durch das kleine Dörfchen Vilar de Cas laufe, stelle ich zu meiner Überraschung fest, dass es hier auch etwas zu essen und zu trinken gibt. In einem nett gestalteten Hof hat die dort ansässige Familie einen kleinen Verkaufsstand eingerichtet, und bietet den Pilgern Kaffee, Frühstück und Kaltgetränke zu kleinem Preis an. Dort treffe ich Katja, die auch ein kleines Frühstück einnimmt. Am Ende des Dorfes komme ich an den Abzweig, um zur rund tausend Jahre alten, mittelalterlichen Kirchenruine San Salvador zu gelangen. Das kostet mich zwar einen Umweg von rund 800 m, aber ich bin halt neugierig und nehme die zusätzliche Strecke in Kauf. Durch eine Öffnung im Portal kann ich ins Innere blicken und mir ungefähr die frühere Pracht vorstellen. Wieder zurück auf dem Originalweg geht es zunächst weiter auf einer Nebenstraße. Im Verlauf folgt eine kurze Steigung - die einzig nennenswerte am heutigen Tag - und anschließend eine Hauptverkehrsstraße, an der ich rund 1,5 Kilometer bleiben muss. Zum Glück bleibt trotz rasender LKW dieser gefährliche Abschnitt ohne Zwischenfälle bald und ist bald vorüber. Ich kann endlich nach rechts auf eine kleinere Nebenstraße einbiegen und laufe  schon bald auf naturbelassenen Wege, vornehmlich im Wald. Am Kilometerstein 105 komme ich aus dem Staunen nicht raus. Dort sitz nämlich genau die Familie, die heute morgen in der Herberge den großen Zirkus beim Verpacken der Rucksäcke gemacht hat. Da frage ich mich wirklich, was die vier in den vergangenen dreieinhalb Stunden an Kilometern selbst zurück gelegt haben. Ich habe die große Befürchtung, dass ich sie in  Lugo in der Herberge wieder treffen werde und morgen früh das Spiel von vorne beginnt. Mit Lugo erreiche ich gleich zum ersten Mal seit Oviedo wieder eine etwas größere Stadt. Man merkt das auch schon an dem zunehmenden Lärm der nahegelegenen Verkehrswege, zum Beispiel einer Autobahn, die ich in diesem Moment überquere. Kaum gehe ich durch ein etwas heruntergekommenes und anscheinend auch kaum bewohntes Dörfchen, kann ich in der Ferne schon die modernen Hochhausbauten von Lugo erkennen. Diese unterscheiden sich doch sehr extrem von dem,  was ich in den letzten Tagen zu Gesicht bekommen habe. Wesentlich größere Bedeutung hat für mich der jetzt gleich und hoffentlich erscheinende 100 km-Monolith, der für Jakobspilger immer etwas Besonderes darstellt. Ich warte vergebens, dafür geht es durch eine moderne Stadt immer aufwärts, und es gefällt mir hier überhaupt nicht. Aber ich vermute mal, dass sich das alles gleich anders darstellen wird, wenn ich die komplett erhaltene mittelalterliche  Stadtmauer erreiche. Und so ist auch. Am ersten Stadttor finde auch zunächst meinen ersehnten Stein mit der magischen Zahl 99,583 km bis Santiago. Dahinter findet ein pulsierendes Leben in schmalen Gassen, auf großzügigen Plätzen, in Geschäften und Bars oder Restaurants statt. Und mittendrin ist die moderne Pilgerherberge platziert. Da ich dort bereits um 12:00 eintreffe, erkunde ich schon einmal die Stadt ind die Kathedrale, denn die Herberge öffnet erst um 13:00 Uhr. Später werde ich durch die Gassen bummeln, mir etwas zu Essen suchen und um 20:00 Uhr am Pilgergottesdienst teilnehmen. Auf dem Weg zur Kathedrale treffe ich noch einmal Thorsten, der morgen wieder auf den Camino del Norte geht, und Marcel. Einen Pilgergottesdienst gibt es zwar nicht, dafür darf ich der Aufnahme eines Kanonikers in das Kathedralkapitel beiwohnen mit anschließendem Gottesdienst mit Bischof Alfonso, von dem ich auch die Kommunion empfangen darf. So geht ein schöner Tag mit überragenden Abendprogramm zu Ende. 

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