6. Etappe von Padrón nach Santiago de Compostela (26,5 km)
4:30 Uhr: wir wachen beide auf, sind uns aber sofort einig, dass dies noch keine Uhrzeit ist, um die letzte Etappe vorzubereiten. Also noch einmal umdrehen und die Augen zu machen.
6:00 Uhr: Der Wecker macht sich bemerkbar und wir stehen ohne zu murren auf. Kurz ins Bad, anziehen, Sachen in den Rucksack verstauen, Sonnenmilch und Hirschtalg auftragen, Zähne putzen, alle restlichen Utensilien verpacken, Socken und Schuhe an, Rucksack auf den Rücken und noch einmal kontrollieren, ob auch nichts vergessen wurde. Susanne Rucksack und auch den Zimmerschlüssel hinterlegen wir an noch nicht besetzten Rezeption. Wie schon gestern geschrieben, wird Susanne heute nur mit leichtem Tagesrucksack mit dem Allernötigsten unterwegs sein. Der Rucksack wird gegen 8 Uhr abgeholt und in unser Hotel nach Santiago de Compostela gebracht.
6:59 Uhr: Es geht los, die finale Etappe unserer Pilgerwanderung beginnt. Es ist noch stockdunkel und kühl, die Straßenbeleuchtung reicht aber völlig aus, um den richtigen Weg zu finden. Wir sind natürlich nicht die einzigen, die schon auf den Beinen sind. Als wir bei Pepe vorbeigehen, erschallt von ihm bei jedem Pilger ein herzliches "Buen Camino". Zunächst geht es durch ein Wohngebiet und an der Igreja Colegiada de Santa Maria de Iria Flava, dem mittelalterlichen Bischofssitz. Danach müssen wir mit einer stark befahrenen Nationalstraße vorlieb nehmen, bevor es in ein verwinkeltes Dorf und die Natur geht.
8:30 Uhr: Wir erreichen die Igreja Santuario de la Escravitude, die ich jetzt zum erstenmal geöffnet vorfinde. Von außen sieht die Kirche verfallen aus, innen ist sie allerdings ein Prunkstück. Und einen ersten Stempel für heute gibt es noch als Zugabe dazu. Es wechseln sich nun kleine Dörfer, Weinlauben und kleine Straßen ab. Wir kommen trotz der Blessuren von Susanne richtig gut voran.
9:21 Uhr: In Picaraña machen wir nach knapp 10 Kilometern eine ausgiebige Pause und nehmen unser Frühstück ein, das heute aus einem Brötchen mit Tortilla belegt und einem Schinken-Boccadillo besteht. Nach einer guten halben Stunde sind wir wieder auf dem Camino. Auch unser DJ ist inzwischen aufgetaucht, verhält sich hier aber relativ ruhig. In der Folge wurde die Wegführung verändert. Statt an der Nationalstraße entlang zu laufen geht es nun durch den Wald, an einem Tierheim vorbei und über das grobe Pflaster der alten Römerstraße. Inzwischen sind auch wieder mehr Pilger auf der Strecke, von denen einige merklich unrund gehen. Die meisten sind Spanier, aber wir überholen auch eine Mutter mit ihrer kleinen Tochter, die anscheinend aus Dänemark stammen.
11:28 Uhr: Die Wegstrecke scheint erneut etwas verändert, ich vermisse das bekannte Sägewerk und dahinter einen Erfrischungsstand am Ende des Waldes. Dafür blinzeln mich am Horizont bereits die Spitzen der Kathedraltürme an. Trotzdem sind es noch rund 7 Kilometer bis dahin. Wir laufen durch die Vororte von Santiago, überqueren die Bahnstrecke und passieren einen Ambulanzwagen. Hoffentlich wartet der nicht auf einen Pilger. Hier in der Nähe war bisher immer noch eine kleine Bar, in der man sich kurz vor dem Ziel noch einmal eine Pause gönnen konnte - leider geschlossenen, ob für immer lässt sich nicht feststellen.
12:05 Uhr: Wir kommen an zwei Monolithen, die in unterschiedliche Richtungen den Weg ins Zentrum anzeigen. Wir entscheiden uns für den Weg über Conxo, den ich noch nicht kenne. Ausserdem gibt es an der Wegeteilung einen Hinweis auf eine Bar. Der andere Weg führt bald entlang einer stark befahrenen Hauptstraße, die mir noch nie gefallen hat. Unsere Variante ist da etwas ruhiger und bringt uns noch an der Igreja da Nosa Senora da Mercé de Conxo vorbei, die die aus zwei Hauptschiffen im 90-Grad-Winkel besteht und sehr sehenswert ist. Schon bald befinden wir uns in einer belebten Einkaufsstraße und lassen den neuen Teil von Santiago hinter uns.
13:00 Uhr: Nach der Überquerung der Straße befinden wir uns in der Altstadt. Die Gassen sind eng, aber beileibe nicht so überfüllt, wie ich es hier bereits erlebt habe. Wir Bahnen uns den Weg durch Pilger, Touristen und Studenten. Alles kommt mir so vertraut vor. Als wenn ich erst gestern hier war.
13:06 Uhr: Hand in Hand betreten Susanne und ich den Praza de Obradoiro vor der Kathedrale, die in einem lange nicht mehr dagewesenen Glanz erstrahlt. Ich bin gerührt, wieder hier zu sein und die Augen werden ein wenig feucht. Susanne erreicht diesen Platz erstmals, ich darf schon zum fünften Mal hier sein. Es ist ein Geschenk, in einem Heiligen Jahr Santiago de Compostela zu erreichen. Vor ein paar Monaten hätte ich mir das nicht vorstellen können. Ein großes Kompliment an Susanne, die diese letzte Etappe so toll durchgezogen hat, obwohl auch bei ihr nicht alles rund lief. Nach dem obligatorischen Foto mit der Kathedrale und einer großen Anzahl weiterer angekommener Pilger im Hintergrund suchen wir uns einen Platz am Rande und lassen uns dort nieder.
13:15 Uhr: Ich gehe auf gut Glück zum Pilgerbüro, um zu prüfen, ob wir heute noch unsere Compostela(= Pilgerurkunde) erhalten können. Seit einiger Zeit muss man seine Daten online eingeben und sich dann vor Ort eine Nummer mit einem QR-Code geben lassen. Damit kann man im Netz feststellen, wieviele Pilger vor einem dran sind. Ich erhalte die Nummern 1024 und 1025, gerade wir die Nummer 425 bearbeitet. Das Pilgerbüro hat bis 18 Uhr geöffnet, das könnte sogar noch klappen.
13:43 Uhr: Wir machen uns auf den Weg zu unserem Hotel, das nur 400 Meter von der Kathedrale entfernt liegt. Wir finden das Haus schnell, checken ein und freuen uns über unsere Bleibe für die kommenden drei Nächte. Nach dem Duschen besorge ich schon mal Getränke und neues Blasenpflaster. Nach meiner Rückkehr hat Susanne einen Wachsalon im Visier, damit alle genutzten Kleidungsstücke noch einmal richtig gewaschen werden können.
16:50 Uhr: Mir wird angezeigt, dass nur noch 65 Pilger vor uns in der Warteschleife für die Ausstellung der Compostela sind. Anziehen und ab zum Pilgerbüro. Dort lassen wir uns noch eine Weile im Garten nieder und warten auf den Aufruf unseres 20er-Nummernblocks. Nur eine Dreiviertelstunde später halten wir unsere Pilgerurkunde in den Händen. Gerne hätten wir noch an dem spirituellen Rundgang um die Kathedrale teilgenommen, die von der deutschen Pilgerseelsorge angeboten wird. Leider war nur eine französische Gruppe am Treffpunkt. Also wieder zurück zur Unterkunft, dabei noch die Capilla de San Roque angeschaut. Ach übrigens, zu Abend haben wir heute ganz untypisch in einem italienischen Restaurant gegessen. War super lecker.
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