4. Etappe von Pontevedra nach Caldas de Reyes (21,4 km)
Heute sind wir nach einer ganz guten Nacht gegen 6 Uhr wach und beginnen gemächlich mit den Vorbereitungen für den Aufbruch. Wir könnten eine Kleinigkeit essen, denn es sind Kekse, Cerealien und Obst bereitgestellt. Unser Plan sieht aber anders aus, wir möchten zunächst gut zwei Stunden auf dem Camino sein und dann erst ein Frühstück einnehmen. Circa halb acht verlassen wir unsere Unterkunft und ziehen in Richtung Brücke über den Rio Lérez. Nach ein paar Metern muss Susanne noch einmal ihre Schuhe zurecht rücken, da sie bereits eine Blase hat und eine weitere im Entstehen ist. Es ist noch dunkel und die Straßen sind leergefegt, nur ein Gastronom putzt seine Räumlichkeiten.
Als sich die Dunkelheit verzieht ist es zwar hell, aber noch diesig und wolkenverhangen. Nach circa fünf Kilometern verschwinden die Wolken vom. Himmel, der wieder eine schöne blaue Farbe annimmt, die vereinzelt von weißen Tupfen durchbrochen wird. Auch wir beide verschwinden nacheinander in einer Garage, denn dort befindet sich neben Getränkeautomaten und eine Toilette nebst Dusche. Ein toller Service der Eigentümer - das findet man tatsächlich hin und wieder auf dem Camino. Wir ziehen weiter und sind von den angenehmen Temperaturen um die 20 Grad begeistert.
Wir sind schon seit einiger Zeit nicht mehr alleine unterwegs. Viele Menschen tun es uns gleich, vor allem jüngere. Die meisten haben aber auch "nur" einen kleinen Tagesrucksack auf dem Rücken dabei. Mitten in einem Waldstück überholt uns ein Spanier in unserem Alter und fragt nach der Herkunft. Das hat er auch schon anhand meiner neuen Muschel am Rucksack gesehen. Die nächsten Wörter sind Koblenz und Mannheim, da war er schon einmal. Wir geben ihm zu verstehen, dass wir in Koblenz wohnen, worauf er kurz anhält und mit einem Stock zwei Linien im Boden zeichnet: unverkennbar, das Deutsche Eck an Rhein und Mosel. Diese Begegnungen liebe ich auf dem Jakobsweg. Trotz sprachlicher Barrieren kann man sich sehr gut sogar verständigen.
Um 9:40 Uhr erreichen wir nach gut 9 Kilometern die Bar A Pousada do Peregrino, wo wir ein verdientes Frühstück in Form von Café con leche und Bocadillos einnehmen. Dabei können wir beobachten, wie viele Pilger tatsächlich auf dem Camino Portugues laufen. Gut, es sind noch Ferien in Spanien und für die Spanier gehört es einfach zum Leben dazu, den Jakobsweg zu gehen. Schließlich bringt ihnen die erworbene Compostela in Santiago Vorteile z. B. im Beruf. Das ist für uns nicht vorstellbar. Unter anderem sehen wir auch wieder den Pfarrer mit seiner Jugendgruppe. Wir bleiben gut dreißig Minuten sitzen und genießen die Pause. Dann machen wir uns wieder auf den Weg oder besser gesagt, auf die Straße. Asphaltierter Untergrund macht bestimmt 50 Prozent oder mehr aus, was mich persönlich nicht stört. Ich weiß aber, dass viele Pilger auf unseren Jakobswegen rund um Koblenz jammern über die hohen Straßenanteile. Sie sollten mal hierhin kommen, es ist nicht besser. Man braucht halt vernünftiges, eingelaufene Schuhe. Dann geht auch das.
Der weitere Verlauf ist zumeist immer noch identisch mit der Via Romana XIX, deren Markierungen jetzt auch wieder zu sehen sind. Zwar nicht so in der Häufung von gelben Muscheln und Pfeilen in allen möglichen Variationen und Kombinationen. Etwas ganz besonderes sind die mittelalterlichen Wegzeichen, die Cruzeiros. Das sind hohe Kreuzstelen mit Darstellungen von Jesus, Maria oder Jakobus auf der Vorder- und Rückseite der Kreuze.
An der nächsten Kreuzung steht noch einmal eine Garage weit offen und bietet in Automaten Getränke und Snacks an, auf einem Tischchen steht noch ein Stempel bereit. Am Wegesrand häufen sich jetzt auch größere Weinfelder, die in Form von Lauben angelegt sind. Bisher sah man diese lediglich als Umrandung von z. B. Maisfeldern. Dazwischen grasen Schafe mit ihrem Nachwuchs. Es wechseln sich nun diese landwirtschaftlichen Flächen mit kurzen Waldpassagen ab, die durch Hohlwege führen.
Kilometer 15. Wir erreichen die Bar Oasis und beschließen kurzfristig, eine weitere Unterbrechung einzulegen, die so rasch vergeht und doch über dreißig Minuten dauert. Als wir aufbrechen, bemerken wir, dass inzwischen auch Eva und Bernd mit Platz (das Ehepaar aus dem Sauerland) enommen haben. Für einen Smalltalk ist noch Zeit. Die beiden haben sich heute ihre Rucksäcke von der Post transportieren lassen, das kostet lediglich 4 Euro. Wir werden sie bestimmt noch einmal in den nächsten Tagen sehen.
Wir laufen nun parallel zu einer stark befahrenen Nationalstraße. Dort steht erstmals ein Schild "Santiago de Compostela, 40 km". Wir haben zu Fuß aber noch ein paar Kilometer mehr zurückzulegen. Kurz darauf laufen wir auf einen nervigen Spanier auf, der uns heute schon mehrfach aufgefallen ist Er hört über sein Smartphone laute Musik und singt teilweise noch mit einer Begleiterin dazu. Wir überholen die beiden und hoffen, sie bald nicht mehr in unserer Nähe zu haben. Doch sie lassen sich nicht abhängen. Da kommt dann der Zufall ins Spiel. Susanne verspürt an ihrem linken Fuß einen Schmerz - die Blase am kleinen Zeh ist aufgegangen. Schnell eine Gelegenheit suchen, wo sie sich darum kümmern kann. Diese finden wir auch bald und sie wechselt Socken und Schuhe. Inzwischen sind die beiden Sänger auch schon vorbei und die Musik verschwindet immer leiser werdend hinter Weinfeldern.
Zum Glück kann Susanne weiterlaufen, auch wenn es keine Freude macht. Kurz vor Briallos gehen wir auf einem längeren Stück unter den Weinlauben durch und gelangen an einen Monolithen, der erstmals die noch bis Santiago zurückzulegende Strecke mit unter 50 Kilometer angibt. Es ist jetzt auch nicht mehr weit bis zu unserem Tagesziel Caldas de Reis. Die Besonderheit der Stadt sind die heißen Quellen, die schon die Römer zu schätzen wussten.
Unsere Albergue Agarimo liegt direkt an der Hauptstraße. Wir treffen dort gegen 13:30 Uhr ein. Nach dem Klingeln erhalten wir direkt die ersten Verhaltensregeln zur Nutzung der Hausschlüssel. Wie immer klappt das mit ein paar Brocken Spanisch, Englisch und Händen und Füßen. An Ende ist jeder zufrieden und weiß, was er zu tun hat. Um zweiten Stock geht es weiter, hier übernimmt eine Kollegin, die etwas besser Englisch spricht und uns alles andere erklärt, einschließlich der Nutzung von Waschmaschine und Trockner. Diese kommen auch nachher zum Einsatzorte. Unser Zimmer jedoch liegt im vierten Stock, hat eine Kronleuchter, ein großes Bad und einen Balkon. Mein früherer Chef hätte wohl gesagt: "Hat er wieder mal die Präsidentensuite bekommen". Auf jeden Fall fühlen wir uns hier wohl.
Es folgt das alltägliche Pilgerritual, ihr kennt es schon: Duschen, Waschen (dieses Mal maschinell), einkaufen. Wir teilen uns heute die Aufgaben und Susanne kümmert sich um die Wäsche. Ich gehe derweil in einen Supermarkt, um Getränke und Teilchen zu kaufen. Dabei stoße ich zufällig auf die heißen Quellen. Bei der ersten ist ein Fußbad verboten, bei der zweiten steht kein entsprechender Hinweis. Ich lasse es trotzdem, teste aber die wirklich angenehme Temperatur des Wassers. Wir werden heute nicht mehr viel machen, Ausruhen ist angesagt, und natürlich etwas essen.
Das Restaurant Roquiño befindet sich wie schon gestern direkt gegenüber unserer Unterkunft und steht erst ab 20 Uhr zur Verfügung. Heute Abend bestellen wir je einen Ensalda Mixta, einen Ensalda con Queso fresco y Frutos secos sowie Zorza
Salat (gemischter Salat, Salat mit Frischkäse und Trockenfrüchten sowie galizisches Schweinefleisch in Paprikasoße). Passend zum heutigen Tag gönne ich mir auch einmal einen Vino Tinto. Als Dessert gibt es noch Flan. War wieder sehr lecker und ausreichend. Anschließend drehen wir noch eine Runde um den Block und können noch einen Blick in die Igrexa de Santo Tomas werfen, die von Palmen umgeben ist. Danach schlendern wir noch zu den heißen Quellen und treffen dort den uns schon bekannten Koblenz-Kenner aus Spanien wieder. Er will uns noch etwas dazu sagen, mittels eines Übersetzers klappt es dann. Gegen halb zehn sind wir bettfein, morgen geht nach Padrón.
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