Freitag, 10. Oktober 2025

Das ging heute alles sehr schnell

10.10.2025: A Pedreira - Santiago de Compostela (11,9 km)


War das eine ruhige Nacht, ausgeschlafen und meine spricht von einer ausgezeichneten Qualität meines Sleepscores. Was will man noch mehr? Machen wir es kurz: um 7:45 Uhr verlassen Jörg und ich die Unterkunft und machen uns  auf die letzte Etappe unseres gemeinsamen Weges nach Santiago de Compostela. Während uns bei frischen Temperaturen der fast noch volle Mond die Strecke beleuchtet, sehen wir vor uns sich regelmäßig bewegende Lichtkegel einer Taschenlampe. Wir kommen mit der spärlichen Beleuchtung gut zurecht, außerdem dämmert es bereits und am Horizont wird es immer heller. 


Wir sind kaum eine Stunde unterwegs, finden wir nach einem leichten Anstieg entlang einer gut befahrenen Straße vor O Milladoiro den Hinweis auf eine Bar. Dort sitzen schon ein paar andere Pilger und eine ganze „Kompanie“ der Guardiq Civil. Nach der Frühstückspause sind es nur noch rund 7 Kilometer, die wie im Fluge vergehen. Es werden weitere Pilger überholt und die zwei täglich erforderlichen Stempel eingesammelt. In der Ferne sind auch schon die markanten Türme der Kathedrale zu sehen. Anstatt entlang der „langen Meile“ in die Stadt zu laufen, nehmen wir die rechts abzweigende Alternativroute, wo es nicht so hektisch und laut ist. Dann geht alles rasend schnell. Wir überqueren die letzte Kreuzung und gehen durch geschäftige Rúa do Franco. Durch schmale Lücke der eng stehenden Häuser lugt hin und wieder die Spitze eines Turmes der Kathedrale hervor. Links und rechts wird uns eine Kostprobe von Tarte de Santiago angeboten oder in Schaufenstern liegt ein mögliches Mittagessen. 


Um 10:50 Uhr stehen wir jedenfalls auf der Praza de Obradoiro und haben den Caminho Portugues da Costa einschließlich der Variante Espiritual geschafft. Blessuren? Lediglich eine kleine Blase, die ich seit Vigo manchmal gespürt habe, die aber inzwischen ohne weiteres dazutun ausgetrocknet ist. An einem Tag hat sich mal das linke Knie bemerkbar gemacht, dann aber schnell aufgehört. Besonders froh bin ich, dass ich überhaupt keine Probleme mit meinem lädierten Rücken hatte. Dank dem guten Training im Activita bin ich schmerzfrei geblieben. Ach bei Jörg gab es am Ende hin und wieder ein Zwicken im Knie, je nach Bewegung. Damit können wir mehr als zufrieden sein.


Völlig überrascht sind wir, als wir um 11:00 Uhr schon unsere Compostela in der Hand halten. Ich hatte bereits frühzeitig die neuerdings erforderliche Online-Registrierung durchgeführt, sodass wir am Eingang des Pilgerbüros sofort unsere Wartemarken bekommen: die Nummern 266 und 267. Keine zwei Minuten in der Warteschlange werde ich zum Schalter 9 und Jörg zum Schalter 7 aufgerufen. Dort wird der uns nach der Registrierung geschickte QR-Code gescannt, der Pilgerausweis überprüft und die Urkunde ausgedruckt. Fertig! Wir sind begeistert, denn bei unserem letzten gemeinsamen Eintreffen in Santiago 2015 haben wir im alten Pilgerbüro fast zwei Stunden in der Schlange gestanden. Mit uns sind heute übrigens noch weitere 3182 Pilger im Pilgerbüro registriert worden.


Da wir erst um 14:00 Uhr unsere Zimmer im Seminario Menor beziehen können, drehen wir schnell noch eine Runde über die Praza de Obradoiro. Vielleicht treffen wir ja noch ein paar bekannte Gesichter aus den letzen zwei Wochen. Und ja, genauso ist es. Ein Ehepaar, das mit uns in der Herberge in Labruge übernachtete winkt uns zu. Und dann machen sich vor uns von der seitlichen Sitzreihe Kathy und Robin bemerkbar. Wir freuen uns, die beiden zu sehen, setzen uns dazu. Wir bleiben fast zwei Stunden und tauschen uns bei der ein oder anderen Dose Estrella Galicia aus. Auf dem Weg zu frischen Getränken stolpere ich fast über ein Geldstück: auf dem Boden vor der Kathedrale liegt eine 5 Cent-Münze. Ich hebe sie auf und drehe sie um: es ist eine spanische mit der Abbildung der Kathedrale von Santiago. Zufall? Nein. Dann wird es Zeit, in unserer Unterkunft einzuchecken, gegen 15:00 Uhr nehmen wir unsere kleinen, spärlich eingerichteten Zimmer in Beschlag. Zunächst rufe ich bei meinen Eltern an, denn heute bin ich an ihrem 61. Hochzeitstag in Santiago angekommen. 


Nach dem Duschen haben wir Hunger, mehr als zwei Croissants haben wir heute noch nicht gegessen. Nach längerem Suchen finden wir ein Restaurant und bestellen das Pilgermenü bestehend aus Caldo Gallego, einem Pulpo-Garnelen-Spieß, Rinderfilet mit Pommes und Tarta de Santiago. Immer wenn ich in Santiago bin, suche ich nach einer besonderen Muschel, die künstlerisch gestaltet ist, als Belohnung für meinen Camino. Heute habe ich noch nicht danach gesucht, aber ich habe sofort eine tolle gefunden - gleich gegenüber von unserem Tisch sitzt eine Künstlerin, die Muscheln und Steine hübsch verschönert. Eine Muschel in einem Blauton spricht mich schon die ganze Zeit an. Während die Suppe serviert wird, springe ich rüber und kaufe die Muschel. Ich werden zudem gebeten, etwas in ein Büchlein zu schreiben - mache ich gerne. Nach dem Essen bummeln wir noch etwas durch die engen Gassen und stöbern nach Souvenirs. Und wer läuft uns wieder einmal über den Weg: Anne. Schnell noch einmal ein Foto gemacht. Auf dem Heimweg wird es allmählich etwas kühler, aber ein Eis begleitet uns trotzdem zum Ende des Tages.


In meinem Pilgertagebuch von 2015 ist am Ende zu lesen:

Doch wie sagte Jürgen eben zum Abschied:„Du wirst sehen, es ist nicht das letzte Mal. Du kommst wieder."

Ich bin überzeugt, dass er richtig liegt. Irgendetwas von dir bleibt auf der Praza da Obradoiro zurück.

Und irgendwann musst du wieder nach Santiago, es zu suchen und wieder mitzunehmen.


Nach über zehn Jahren sehe ich das ein klein wenig anders. Ja, irgendetwas bleibt auf der Praza de Obradoiro von dir zurück. Du wirst es auch bei jeder Rückkehr nach Santiago wieder finden. Jedes Mal ein klein wenig anders, denn das Leben geht weiter und verändert sich und auch dich. Du nimmst auch nur einen kleinen Teil davon mit nach Hause und lässt den anderen Teil dort. Dieser kleine Teil, den du mitnimmst, bereichert dein Leben, deine Umgebung, dein Tun. Und irgendwann kommt ein Zeitpunkt, wenn du von dem verbliebenen Teil wieder etwas abholen musst. 


















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