Montag, 24. Juni 2019

Soviel Glück an einem Tag...

10. Etappe: La Châtre - Cluis (27,1 km - 5:49 Std)

Heute sollen die Temperaturen noch einmal ansteigen, sodass wir zum Abschluss der vier heißen Tage erneut früh startbereit sind. Während der Vorbereitungen lassen wir uns die gestern Abend mitgebrachte Pizza Jambon schmecken. Um 6:30 Uhr geht es los. Wie schon an den Vortagen, sind wir relativ schnell aus der Stadt heraus und befinden uns in der Natur. Wir betrachten manch einen Hof mit erstauntem Blick, denn sie ähneln feudalen Gutshöfen. Überall riecht es nach frischem Heu, denn die Ernte ist in vollem Gang. Inzwischen ist schon zur Gewohnheit geworden, mit den vielen Wassertürmen ein Spielchen zu treiben. Immer, wenn wir einen neuen Turm sehen, gebe wir einen Tipp ab, ob er zum nächsten zum durchquerenden Ort gehört.

Unsere erste Rast planen wir in dem Dorf Sarzay, dessen Chateau aus dem 12. Jahrhundert schon von weither sichtbar ist. Der prächtige Bau mit seinen vier Ecktürmen sticht in der Landschaft überdeutlich hervor. Direkt gegenüber vom Schloss steht die Türe eines Restaurants offen und wir fragen einfach mal nach einem Kaffee, den wir auch prompt bekommen. Lange wollen wir uns nicht aufhalten, denn die Quecksilbersäule steigt unaufhaltsam - und das spürbar. Wir sind froh über jede schattige Passage, die sofortige Abkühlung verspricht. Zur Abwechslung geht es wieder einmal über einen Wiesenweg. Zum Glück ändert sich der Bodenbelag mehrmals am Tag, sodass auch die Füsse etwas Ab-wechslung erhalten. Wir kommen heute wieder ganz gut vorwärts und durchlaufen mehrere kleine Weiler. Menschen begegnen uns heute keine, von anderen Pilger ganz zu schweigen.

Nach weiteren 10 Kilometern kommen wir nach Neuvry-Saint Sepulchre, einem wichtigen Ort der mittelalterlichen Pilger. Auch hier weisen uns in den Boden eingelassene Bronzemuscheln den Weg ins Zentrum der Stadt. Das Ziel damals wie heute ist die aus dem 11. Jahrhundert stammen-de Jakobuskirche, die der runden Grabeskirche von Jerusa-lem nachempfunden ist. Daran angebaut wurde eine vom Grundriss her rechteckige Basilika. Wir werden jedoch ent-täuscht, denn die Kirche verschlossen.

In der Nähe nehmen wir vor einer geöffneten Bar Platz und genehmigen uns zwei Bier. Wir sind froh, dass die Bar über-haupt offen ist - in Frankreich ist das montags nur selten der Fall. Wir haben noch ein weiteres Mal Glück. Auf der gegen-überliegenden Straßenseite befindet sich ein kleiner Lebens-mittelladen, der geöffnet ist. Wir kaufen Pasta und Sauce für den Abend sowie etwas Süßes zur „Nervenberuhigung“ und ein leckeres Eis ein. Und das Glück ist uns noch ein drittes Mal auf unserer Seite, denn beim Verlassen des Ladens sehen wir zwei Leute aus der Kirche kommen. Also gelangen wir doch noch in den Genuss, dieses außergewöhnliche Gottes-haus mit seiner interessanten Architektur auch von innen zu bestaunen. Die Kirche ist sehr spärlich ausgestattet, sie hat aber trotzdem einen gewissen Charme. An einer Säule hängt ein altes Banner mit einer Abbildung des Jakobus und dem Schriftzug „S. Jacobe Major Ora Pro Nobis – Heiliger Jako-bus, bete für uns“.

Zufrieden machen wir uns auf die letzten 8 Kilometer, die aber aufgrund der Temperaturen um die 30° - in der prallen Sonne wohl noch höher - schwerfallen. Allmählich wird das Tempo etwas langsamer und der eintönige Geschmack von Wasser wird durch ein paar frisch gepflückte Kirschen auf-gebessert. Schließlich laufen wir an den Ruinen einer mittel-alterlichen Festung vorbei und nach einem letzten steilen Anstieg sind wir gegen 13:30 Uhr in Cluis. Direkt neben der Kirche befindet sich das Refugio - ein gerade einmal drei Meter breites Häuschen. An der Türe hängt ein Zettel mit einer Adresse und zwei Telefonnummern, wo man den Schlüssel erhalten kann. Das ebenfalls vermerkte Geschäft fällt aus - montags geschlossen. Also laufen wir zwei Ecken weiter und klingeln an der besagten Adresse - keine Reaktion. Zurück an der Herberge versuche ich es per Telefon - ebenfalls erfolglos.

Wir stellen uns auf eine längere Wartezeit ein, als Jörg neben seinem Rucksack einen Pflasterstein hochhebt. Und was liegt darunter: der Schlüssel für das Refugio. Schon wieder Glück gehabt! Ich erinnere mich auch daran, als Rita vor ein paar Tagen erzählte, dass der Schlüssel in unmittelbarer Nähe der Herberg deponiert sei. Im Erdgeschoss befinden sich eine Schlafcouch, ein Gasherd, ein Kühlschrank und ein Wäschetrockner – perfekt für uns. Im Obergeschoss stehen zwei Doppelstockbetten, die jetzt uns gehören. Hier haben wir es richtig gut getroffen. Wir machen uns frisch, waschen die Wäsche und überlassen den Rest dem Trockner. Dann ist ausruhen angesagt. Neben Jörgs Bett summt es die ganze Zeit. Es dauert eine Weile, bis wir die Ursache herausfinden. Es ist eine Wildbiene, die sich an einem Bettpfosten aufgrund eines fehlenden Holzstiftes in der zurückgebliebenen Öff-nung eingenistet hat.   

Gegen 18 Uhr beginne ich mit den Vorbereitungen für das Abendessen. Jörg erkundet währenddessen schon einmal den Ort, besorgt in einer Bäckerei zwei Eclaires als Dessert, danach noch in einem Tabakladen Cola und Wasser. Nach dem Essen taucht Marie-Therese auf, die für das Refugio verantwortlich ist. Sie wundert sich, dass sie das Klingeln am Mittag nicht gehört hatte. Wir unterhalten uns auf Englisch mit ihr und sie gibt uns den Tipp, dass es erst seit ein paar Wochen einen kleinen Supermarkt im Ort gibt, der auch montags offen hat. Jörg zieht direkt los und besorgt das ein-zige was uns heute noch fehlt: kaltes Bier. Das Glück bleibt uns treu!

Etwas schwieriger gestaltet sich die Reservierung der Unterkunft am Mittwoch. Anscheinend hat das ursprünglich geplante Hotel nicht mehr geöffnet, ein zweites ist bereits ausgebucht. Im Rathaus erreiche ich zu dieser Uhrzeit niemanden mehr, also schreibe ich ein Mail, in der Hoffnung im Laufe des morgigen Tages eine Antwort auf meine Anfrage zu bekommen.








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