1. Etappe: Vézelay - Le Chemin (24,9 km - 5:25 Std)
Die gestrige Anreise war wirklich anstrengend und so kommt es uns sehr entgegen, dass es erst um 9 Uhr Frühstück gibt. Wir sind jedoch schon eine halbe Stunde vorher fertig mit packen und entscheiden uns, schon einmal im kleinen Supermarkt noch etwas Wasser für den Tag einzukaufen. Nach unserer Rückkehr hat Madame Schmieding das Frühstück vorbereitet. Wir lassen es uns schmecken und führen ein wenig Smalltalk mit ihr. Schließlich zahlen wir unsere Rechnung und verabschieden uns. Ich kaufe mir noch einen handbearbeiten Stein mit Jakobsmuschel. Einen ähnlichen, hier 2013 gekauften, trage ich seitdem bei meinen Pilgertouren immer bei mir. Wir sind sehr dankbar, dass wir im Cabalus unsere Fortsetzung durch Frankreich beginnen können. Durch das bereits bekannte in Vézelay ist die Verbindung unseres bisherigen Weges mit dem vor uns liegenden Abschnitt sehr eng - trotz der sechs Jahre Differenz.
Um 9:40 Uhr stehen wir vor der eingerüsteten Basilika und starten in den Tag. In der Nacht hat es geregnet und für heute Mittag sollen wir auch noch etwas davon abbekommen. Gerade in diesem Augenblick kommt die Sonne ein wenig durch die graue Wolkendecke und wirkt für uns wie ein Startsignal. Zunächst umlaufen wir einmal die Basilika und genießen den weitreichenden Ausblick von hier oben. Da-nach steigen wir über schmale Wiesenwege hinab und erreichen schon bald Saint-Père, wo wir das Flüsschen Cure überqueren. Wir folgen dem Verlauf des Gewässers, müssen dann aber über einen Feldweg einen ersten Aufstieg bewältigen. Der aufgeweichte Lehmboden klebt an unseren Schuhen fest und macht diese breiter und schwerer. Irgendwann ist es vorbei mit der Aufnahmekapazität der Schuhe und der Morast fällt in einem großen Klumpen wieder ab. Das ist die Chance für eine weitere Masse des braunen Bodenbelags, das gleiche zu versuchen. Wir sind froh, diese Passage bald hinter uns zu haben und laufen auf kleinen Nebenstraßen und Feldwegen durch Précy Le Moult und danach durch Pierre-Perthuis. Dort treffen wir auf zwei deutsche Pilgerinnen, die ich an ihrem gelben Outdoor-Wanderführer erkenne. In der kurzen Unterhaltung stellt sich heraus, dass sie heute noch 11 km mehr laufen wollen als Jörg und ich. Das wäre dann 36 km, und das am ersten Tag!? Ok, jeder, so wie will und kann…für uns wäre das entschieden zu viel.
In Domecy-sur-Cure machen wir eine erste kurze Trinkpause. Dabei verstelle ich meinen Rucksack ein wenig, weil er nicht richtig auf dem Becken sitzt, wie ich mir das vorstelle. Kurz hinter dem Château de Bazoches fallen vereinzelte Regentropfen aus dem grauen Wolkenvorhang herab - die Wettervorhersage stimmt also. Wir überziehen deshalb vorsichtshalber die Rucksäcke mit dem Regenschutz und tragen unsere Regenjacken in der Hand. In Bazoches haben wir 15 km geschafft und werden mit der offenen Église Saint Hilaire begrüßt. Nach der kurzen Besichtigung fällt noch mehr Regen herab und wir befürchten, dass der noch stärker wird und wir gleich richtig nass zu werden. Tut er aber nicht - er hört hinter dem Dorf in einem Anstieg einfach wieder auf.
An der Chapelle de Saint-Roche verstauen wir wieder unsere Jacken und marschieren nach Neuffontaines, wo wir an einer Ruhebank erneut eine Pause einlegen. Auch hier muss ich meinen Rucksack noch einmal verstellen. Ich bin immer noch nicht mit der Einstellung zufrieden. Es wäre besser gewesen, im Vorfeld den neuen Rucksack zu testen und richtig einzustellen. Im weiteren Verlauf zieht über uns noch einmal eine große dunkle Wolke auf, die vereinzelt etwas Wasser fallen lässt. Vor uns thront auf dem Mont Sabot die aus dem zwölften Jahrhundert stammende Chapelle Saint-Pierre-aux-Liens. Die Kapelle scheint von einer heiligen Aura umgeben zu sein, denn die Wolke zieht in gebührenden Abstand darüber hinweg und das dazwischen sichtbare helle Band wirkt wir eine Corona.
Nun ist nicht mehr weit bis zu unserem Tagesziel. In Vignes durchlaufen wir die Rue de Compostelle, bevor es für rund einen Kilometer ganz gemein auf einem Feldweg steil aufwärtsgeht. Am Ende dieses Wegestückes werden wir von einem ersten Hinweis auf unsere Herberge L'Esprit du Chemin erwartet. Jetzt müssen wir nur noch um drei Ecken herum und stehen vor der Herberge. Auf einer Bank befinden sich schon zwei Rucksäcke, sie gehören Jan und Adrie. Die beiden haben wir schon in Paris und am Bahnhof von Sermizelles getroffen. Wir werden von Huberta empfangen und durch die Herberge geführt. Vor einigen Jahren hat sie mit Arno die Herberge in Saint Jean-Pied-de-Port aufgegeben und sich in diesem alten Bauernhof in Le Chemin niedergelassen. Mit der Unterstützung von freiwilligen Helfern wurde daraus eine paradiesische Pilgerherberge.
Wir beziehen gleich das uns gezeigte Zweibettzimmer, das noch relativ neu ist. Heute ist „Schlafen in Bettwäsche“ angesagt - purer Luxus, aber aus rein hygienischen Gründen. Danach heißt es Wäsche waschen, duschen und ausruhen. In der Herberge unterhalten wir uns ein wenig mit Jan und Adrie, die beide nur wenig Deutsch, dafür aber besser Englisch sprechen. Es ist eine nette Unterhaltung. Um 19 Uhr gibt es Abendessen, zu dem uns Arno aus dem Aufenthaltsraum abholt und in einen geräumigen Nebenraum führt. Es gibt Reis, ein Linsengericht und ein Gemüsepotpourri, das meiste aus dem eigenen Garten. Bevor wir zuschlagen dürfen, stellt sich jeder kurz vor und erzählt etwas aus seiner Camino-Geschichte. Beim Essen führen wir auf Englisch eine richtig nette Unterhaltung. Erst nach über einer Stunde und einem leckeren Dessert aus Früchten werden allmählich die Stimmen etwas leiser. Es wird Zeit, den Tag zu beenden und sich für die kommende Herausforderung auszuruhen. Für Jörg und mich stehen morgen 30 km an, Jan und Adrie planen mit 24 km.
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