Für 7 Uhr steht das Frühstück bereit und alle vier Übernachtungsgäste sitzen pünktlich am Tisch. Auch heute früh gibt es einiges aus der eigenen Küche - lecker. Huberta und Arno verabschieden sich bereits von uns, da sie noch in die Kirche fahren möchten. Vorher bekommen wir noch unsere Stem-pel, die zum Teil mit der Hand ausgemalt sind. Außerdem erhalten wir Anweisungen, wo wir den Schlüssel der Herberge deponieren sollen. Bereits eine Dreiviertelstunde später haben wir alle unsere Rucksäcke auf dem Rücken und beginnen mit dem geplanten Tageswerk.
Jörg und ich sind anscheinend noch nicht richtig dabei und laufen einfach die Straße geradeaus weiterund bemerken erst kurz darauf, dass wir eigentlich nach links abbiegen müssten. Adrie und Jan laufen richtig und wir beide schließen uns an. Durch einen feuchten Wiesenweg geht es zunächst ab-wärts nach Anthien, wo das Portal der Église Saint-Laurent aus 16. Jahrhundert offensteht. Ein Gitter versperrt zwar den Zugang, allerdings ist zumindest ein Blick in den Innenraum der Kirche möglich. Es folgt nun eine schmale Straße entlang von großen Weideflächen, aus denen unsichtbare Grillen um die Wette zirpen. Hier überholen wir die beiden Niederländer und gehen unser eigenes Tempo weiter, das heute deutlich flotter ist als gestern. Es folgen die kleinen Dörfer Sancy-le-Bas und Charpuis und nach circa 10 km mit Corbigny eine Gemeinde mit immerhin rund 1.500 Einwohnern. Den markanten Turm der Abtei Saint-Léonard aus dem 16. Jahrhundert sehen wir schon aus der Ferne. Neben den inzwischen vertrauten Wegzeichen - übereinanderliegende gelbe und blaue Balken sowie spezielle Muschelpfeile - zeigen uns am Boden eingelassene Bronzemuscheln den Weg durch Corbigny.
Jörg und ich nehmen gegenüber dem Rathaus in einem Straßencafé Platz und machen eine erste Pause mit einem café au lait. Als wir uns nach einer guten halben Stunde wieder fertigmachen, treffen auch Jan und Atrie ein - schön sie wiederzusehen. Bevor es allerdings weitergeht, kaufen wir in einem kleinen Laden noch Wasser und Riegel für unterwegs ein. Schon bald verlassen wir Corbigny - seit 1979 besteht eine Partnerschaft mit Kobern-Gondorf ganz in der Nähe meines Wohnortes Koblenz - und befinden uns wieder in ländlicher Umgebung. Nun säumen ausgedehnte Getreidefelder unseren Weg, die mit dem leuchtenden Rot von hunderten Mohnblüten durchsetzt sind. Wir durchwandern mit Chitry-les-Mines und Chaumot wieder kleine Dörfer und überqueren den Canal du Nivernais. Unter unseren Füßen befindet sich jetzt vermehrt Asphalt und als wir nach einem zum Teil auch schattigen Anstieg am Friedhof von Pazy eine Bank vorfinden, machen wir für eine weitere Pause Gebrauch davon. Wieder auf der Piste erkennen wir vor uns zwei Pilgerinnen - das sind die beiden Deutschen von gestern. Sie haben für sich eine bequeme Art des Pilgerns gefunden und lassen das meiste Gepäck von einer Begleiterin per Auto transportieren.
Die Sonne meint es momentan richtig gut mit uns und heizt weiter gut ein. Jörg und ich wandern weiter nach Guipy, wo es einen kleinen und vor allem geöffneten Laden geben soll. Wir werden nicht enttäuscht und decken uns mit allen Zutaten für ein Abendessen ein, denn in Saint-Révérien gibt es keine Einkaufsmöglichkeit und auch kein Restaurant. Wir kaufen Nudeln, Soße, Baguette und Bier und erhalten noch gratis eine Salami dazu. Herzlichen Dank dafür. Zum sofortigen Verzehr gönnen wir uns ein Sandwich mit Käse und Schinken, das riesig ausfällt. Als Ausgleich für den bisherigen Flüssigkeitsverlust müssen ein paar Gläser kalter Gerstensaft herhalten. Inzwischen sind die beiden Deutschen auch eingetroffen und stellen sich als Becky und Stefanie aus Mönchengladbach vor.
Auch diese Pause dauert wiederum länger wie angedacht, sodass es allmählich Zeit wird, aufzubrechen. Die Straße schlängelt sich jetzt zur Abwechslung durch Weiden, die von zahlreichen Rindern abgegrast werden. Am Horizont erkennen wir eine Kirchturmspitze und hoffen, dass es sich um die Kirche von Saint-Révérien handelt. Ein Blick auf meine elektronische Karte bestätigt die Vermutung. Doch unsere Begeisterung wird sofort wieder gedämpft, denn das letzte Stück Weg verlangt mit einem netten Anstieg noch einmal alles von uns. Das passiert uns hier öfters, die Ortschaften befinden sich anscheinend zumeist auf Anhöhen.
Dann stehen wir neben dem Rathaus vor der Herberge, entnehmen mittels dem schon bekannten Code den Hausschlüssel aus einem Kästchen neben dem Eingang und sind schon drin. Die Pilgerherberge wird von der Gemeinde bereitgestellt und ist recht einfach. Es gibt 14 Betten in drei Zimmern, einen Aufenthaltsraum und eine Küche. Ein Franzose war schon vor uns da und hat sich bereits sein Bett ausgesucht. Da wir die Herberge so früh erreicht haben, können wir glücklicherweise das einzige Zweibettzimmer für uns in Beschlag nehmen. Es ist jetzt kurz vor 16 Uhr und wir sind ganz schön geschafft. Heute war es doch sehr warm und wir sind oft ohne Schatten gelaufen. Das ist allerdings alles besser als Regen, und davon erwarten wir in den kommenden Tagen gemäß Wettervorhersage noch einiges.
Es folgt das übliche Programm: duschen, waschen, Wäsche aufhängen, ausruhen, später noch kochen. Derweil versuche ich unsere ausgewählte Unterkunft für morgen per Telefon zu erreichen, jedoch ohne Erfolg. Ersatzweise schreibe ich eine Mail, werde aber später noch einmal zum Telefon grei-fen. Inzwischen sind auch noch Jan und Atrie sowie zwei niederländische Fahrradpilger aus Maastricht eingetroffen, denen ich meinen Führer zwecks der weiteren Planung zur Verfügung stelle. Es ist einiges los auf der Via Lemovicensis.
Gegen 19 Uhr kommen zwei Damen im Auftrag der Gemeinde, die alle Unterkunftsgäste registrieren und gerne das Geld für die Übernachtung kassieren möchten. Als Gegenleistung erhalten wir den Stempel des Tages für unser Credencial. Dann wird es Zeit, den bereits knurrenden Magen zu füllen. Jörg bereitet auf dem zur Verfügung stehenden Gasherd die Nudeln zu und erhitzt im Wasserbad die Sauce. Ein Pfund Nudeln ist für uns beide etwas zu viel, sodass Jan und Adrie sich auch noch bedienen können. Nach dem Abwasch leert sich die Küche und alle ziehen sich in ihre Zimmer zurück. Wir sammeln abschließend unsere getrocknete Wäsche ein und bereiten schon einmal grob das Gepäck für den morgigen Tag vor. Bisher habe ich noch niemanden in unserer für morgen geplanten Unterkunft „Le Saint-Jacques“ in Prémery erreichen können. Ich versuche es mit einer E-Mail, vielleicht glückt das ja. Auch für die Schlafmöglichkeit in Nevers in der Pilgerunterkunft der Espace Bernadette Soubirou am Dienstag habe ich schon eine Anfrage rausgeschickt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen