Samstag, 22. Juni 2019

Rita aus Flandern, die ewige Pilgerin

8. Etappe: Saint Amand-Montrond - Le Châtelet (26 km - 5:25 Std)

Da unsere Unterkunft heute geschlossen hat, besteht auch keine Möglichkeit, ein Frühstück zu bekommen. Die Bäckereien haben aber bereits früh geöffnet, und so verabreden wir uns für 7 Uhr, um vor dem Aufbruch ein paar Croissants einzukaufen. Die nächste Boulangerie ist auch nur we-nige Minuten von unserer Unterkunft entfernt. Bevor wir unser Frühstück in Jörgs Zimmer einnehmen, packen wir unsere Siebensachen zusammen, damit wir im Anschluss sofort loslegen können. Gegen 8 Uhr verlassen wir das Foyer de Jeune Travailleurs und ziehen von dannen - zunächst in Richtung Orval.

Wir überqueren den Fluss Cher und landen hinter der Brücke an einem Kreisverkehr, in dessen Mitte ein ausrangiertes Kampfflugzeug ausgestellt ist. So etwas würde es in Deutschland nie geben. Da es gerade ein wenig vom Himmel tropft, verpacken wir vorsichtshalber die Rucksäcke. Noch ist es frisch, doch mit zunehmender Bewegung empfinden wir die Temperatur als sehr angenehm. Wir verlassen schon sehr bald die Hauptstraße und laufen auf einer Nebenstraße in Richtung Bouzais weiter. Die dortige Église Saint-Roche ist zwar verschlossen, aber es sind einige Telefonnummern an-gegeben, wo der Schlüssel erhältlich ist - allerdings leider nicht samstags.

Es geht weiter, erneut durch ländliches Gebiet mit landwirtschaftlicher Nutzung, über die Autobahn A71 und vorbei an einsamen Gehöften. Nach ungefähr neunzig Minuten legen wir eine erste Pause ein. Es ist bemerkenswert, wie schnell sich der Körper von der Last des Rucksackes erholen kann, wenn man ihm eine kurze Regeneration einräumt. Jetzt pilgern wir auch einmal zur Abwechslung durch schattigen Wald. Bei den ständig steigenden Temperaturen tut das gut. Hinter einem solchen Waldstück erkennen wir schon von weitem eine Person mit Rucksack am Wegesrand sitzen. Wir unterhalten uns kurz auf Deutsch mit der älteren Dame aus Flandern, die heute ebenfalls bis nach Le Châtelet gehen möchte. Ich gebe ihr noch einen Tipp für eine Bleibe, da die von ihr und uns ursprünglich ausgewählte Unterkunft nicht mehr existiert.

Auf dem weiteren Weg beschäftigt mich die Frau noch etwas. Einen Tag bevor wir in Augy bei Hanny und René waren, hat dort eine Belgierin übernachtet. Ihren Eintrag im Gästebuch der Herberge habe ich mit dem unsrigen fotografiert. Ich erinnere mich außerdem daran, dass René auch von einer solchen Frau gesprochen hatte. Meine Vermutung ist, dass es sich tatsächlich um diese Rita handelt, die wir auf dem Weg getroffen haben. René erzählte uns von einem Mord auf dem spanischen Camino vor Jahren, und Rita sei die Mutter des Getöteten. Seitdem sei sie in jedem Jahr auf Jakobswegen unterwegs. Das gibt einem schon zu denken…

Unsere Route führt weiter über Planche (wo es auch eine Übernachtungsmöglichkeit gibt). Dort schwimmen in einem benachbarten Teich fünfzehn kleine Entenküken um ihre Mutter herum - ein nettes Bild. Wenig später treffen wir in Loye-sur-Arnon ein. Hier werden wir unsere ausgiebige Mit-tagsrast für den heutigen Tag einlegen. Das ortsansässige Restaurant hat heute geschlossen, aber zum Glück führt uns ein Hinweis zu einer Käserei ganz in der Nähe. Dort verkauft uns die sogar Englisch sprechende Mitarbeiterin verschiedene Käse aus der eigenen Produktion, die wir an einem netten Rastplatz neben der Église Saint-Martin verspeisen. Die Kirche ist sogar geöffnet, ziemlich dunkel, aber mit einer besonderen Atmosphäre. So gibt es noch viele erhaltene alte Wandmalereien, z.B. einen Sternenhimmel im Chorraum.

Nachdem wir uns ausgiebig ausgeruht haben, stehen noch circa 11 km Restweg für an. Dieser führt uns über Feld, Wirtschafts-, Wiesen- und Waldwege. Unterwegs passieren wir eine idyllisch gelegene alte Mühle einschließlich Teich und laufen kurz danach an einem Markierungszeichen vorbei und damit in die falsche Richtung. Glücklicherweise bemerken wir sehr schnell, dass wir in die falsche Richtung unterwegs sind und kehren um. So ziemlich genau nach 5 km pausieren wir noch einmal und erreichen schließlich um 15:15 Uhr unsere Unterkunft in Le Châtelet. Wir werden von unseren Vermietern, dem Ehepaar Francois empfangen. Ein weiterer Pilger aus der Bretagne ist ebenfalls schon da. Wir werden außerdem darüber informiert, dass auch noch eine gewisse Rita sich für die Übernachtung angemeldet hat...

Jörg und ich bekommen ein Zimmer mit zwei Einzelbetten im Obergeschoss, was uns sehr erfreut. Wir müssen zwar immer durch das Zimmer des Franzosen laufen, aber das stört auf dem Camino niemanden. Nach dem Duschen wird die Waschmaschine angeworfen und wir kaufen im örtlichen Supermarkt für das Abendessen Brot, Käse und Schinken. Später sitzen dann alle vier Übernachtungsgäste am Tisch und verspeisen ihr mitgebrachtes Essen. Mit Rita führen wir noch angenehmes Gespräch, indem sie uns gerne an den Erfahrungen ihrer unzähligen Jakobswege teilhaben lässt. In diesem Jahr wird sie vier Monate unterwegs sein. Es macht Spaß, aus ihrem großen Erfahrungsschatz den Geschichten vom Camino zuzuhören. Ihre dunkelste Geschichte lässt sie allerdings unerwähnt…

Da die Temperaturen ab morgen noch weiter ansteigen werden, stellt uns Monsieur Francois bereits das Frühstück raus, damit wir das Haus verlassen können, wann wir möchten. Einhellig haben wir uns alle dazu entschieden, bereits gegen 6 Uhr die nächste Etappe anzugehen.









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