Donnerstag, 14. Juli 2016

Jakobus hat geholfen

Abreisetage haben immer etwas Melancholisches an sich. Alle Tätigkeiten, die in den letzten Wochen zur Routine wurden, führe ich an solchen Tagen zum letzten Mal aus. Ich versuche, aus dieser Situation auszubrechen, und die letzten Stunden in Santiago mit Abwechslung und guten Erinnerung zu gestalten. So stehe ich bereits früh auf, um meinen Rucksack reisefertig zu machen, und im Keller der Herberge in am Schließfach zu verstauen. Danach gehe ich gut gelaunt zur Kathedrale, um am deutschen Gottesdienst teilzunehmen. Neben Petra, Hildegard und Wolfgang von der Pilgerseelsorge sind nach circa 10 weitere Pilger anwesend. Der Gottesdienst lässt mich noch einmal die vergangenen zwei Wochen im Zeitraffer erleben. Es war eine schöne Zeit, mit tollen Begegnungen und Erlebnissen, die Olli und ich erleben durften. In seiner Begrüßung erzählt Wolfgang über den Heiligen des Tages, Kamillus von Lellis. Erst gestern habe ich durch einen Beitrag von Pater Norbert von den Freiburger Kamillianern über den heutigen Gedenktag ihres Ordensgründers erfahren. Das passt so wunderbar zum Jahr der Barmherzigkeit. Nach dem Gottesdienst erhält jeder, der möchte, noch einen persönlichen Segen zum Abschied aus Santiago. Wie gerufen kommt für mich die Einladung, gegen Bezahlung im St. Martin zum Frühstück mit den Dreien zu kommen. Wir haben ein sehr schönes Gespräch mit herzlicher Verabschiedung. Um 10:00 Uhr treffe ich mich mit Olli vor dem Nordportal, von wo wir aus noch einmal zum Markt gehen, um ein paar Mitbringsel zu kaufen. Anschließend möchte ich mich noch einmal in der Kathedrale verabschieden, während Olli bereits zur Herberge geht und dort auf mich wartet. Ich durchschreite noch einmal die heilige Pforte, berühre dabei die Kreuze auf beiden Seiten und begebe mich in die Krypta zum Jakobusgrab. Hier verbleibe ich eine Weile. Kurz bevor der Pilgergottesdienst beginnt, sehe ich zu, dass ich die Kathedrale verlasse. In der Herberge treffe ich sofort Olli im Gemeinschaftsraum im Keller, wo wir noch eine Kleinigkeit essen. Dann wird es Zeit, zum Bushof zu gehen. Bei mir kommt dabei etwas Wehmut auf, denn die Abreise ist nun unumgänglich. Eine Pilgerin, der wir in Muxia begegnet sind, scheint es endlich zu gehen. Sie steht im Bus nicht weit von uns weg. Ihre Augen sind geschlossen und ihre Gesichtszüge zeigen ein friedliches Lächeln. Dann öffnet sie die Augen, die jetzt ganz feucht sind, und schaut zu mir rüber. Wir verstehen uns, ohne ein Wort zu wechseln, denn mir geht es genauso. Auch ich habe feuchte Augen, bin traurig über die Abreise aus Santiago. Ich strahle aber auch vor Freude, weil ich bald wieder meine Lieben in den Arm nehmen kann. Nach der Ankunft laufen wir uns noch einmal kurz im Flughafengebäude über den Weg und grinsen uns noch einmal an. Olli und ich checken am Schalter ein und schauen uns das ausgestellte Modell der Kathedrale an, bei dem man nun viele Details erkennt, die beim Original verborgen bleiben. Die Sicherheitskontrolle verläuft zügig, doch von Olli vermisst danach seinen Personalausweis, den er mit seinen Sachen in die Schale zum Durchleuchten gelegt hatte. Nachfragen beim Sicherheitspersonal bleiben erfolglos und auch die Polizei kann nicht helfen. Zum Glück hat er auch seinen Reisepass dabei, mit dem an Bord gehen kann. Kurz vor dem Abflug passiert doch noch das Unglaubliche: der Ausweis wird ins Flugzeug gebracht, und alles ist wieder gut. Danke, Jakobus. Wir landen pünktlich auf dem Hahn und werden von meiner Frau Susanne abgeholt. Jetzt heißt es, zurück in den Alltag zu finden, die Erfahrungen und Erlebnisse mit einzubringen, vielleicht auch mit einem anderen Blickwinkel durch das Leben zu gehen. Bis eines Tages der Ruf von Jakobus das Ohr erreicht und Santiago wieder ein Ziel sein wird...
 

Mittwoch, 13. Juli 2016

Kleiner Pilgerweg der Barmherzigkeit zur Heiligen Pforte

Der heutige Tag beginnt richtig faul. Olli und ich wollten uns erst um 10:00 Uhr vor der Herberge treffen, da vorher in der Stadt noch nicht viel los ist. Die Zeit habe ich zum Ausschlafen und zur Vorbereitung der Abreise genutzt. Zur verabredeten Zeit gehen wir gemeinsam zum Markt. Auf dem Weg dorthin schauen wir uns die Augustinerkirche an anschließend schlendern wir durch die Markthallen und sind über die Vielfalt der angebotenen Waren erstaunt. Fast verbummeln wir die Zeit, denn wir wollen eigentlich ampega Gottesdienst teilnehmen. Bevor wir die Kathedrale erreichen werfen wir noch einen kurzen Blick in die ecrea da Sandro hinein und werden von der Schönheit der Ausstattung überwältigt. Die Kathedrale selbst ist schon gut gefüllt und wir finden nur noch auf den Stufen des Nordportals Platz. Der Gottesdienst ist heute irgendwie anders, als in den letzten Tagen. Zunächst beginnt die Messe mit einem Chor dann bringen unheimlich viele Touristen durch ihre umherlaufen sehr viel Unruhe mit sich und zu guter Letzt beten Pilger aus Russland und der Ukraine für Frieden in ihren Ländern. Sie bringen dies durch eine Umarmung und den Austausch ihrer Flaggen zum Ausdruck. Als Krönung des Ganzen wird auch noch der Botafumeiro geschwenkt. Unser Plan für das Mittagessen lautet zurück zum Markt und Pulpo essen. Danach trennen wir uns. so wie gestern, für ein paar Stunden, die jeder für sich nutzen kann. Ich setze mich zuerst vor die Kathedrale und beobachte ankommende Pilger. Um 16;00 Uhr besuche ich die Igrea San Martin Pinero, die heute als Museum genutzt wird. Nach der Kathedrale ist das die schönste Kirche in Santiago. Allein der Hochaltar und das dahinter für das gemeine Volk versteckte, wertvolle Chorgestühl ist der Hammer. Ich habe selten so eine künstlerische Arbeit gesehen. Nach diesem kulturellen Teil mache ich gleich weiter damit. Am Nordportal spielt ein Gitarrist auf, der als Bruder von Mark Knopfler durchgehen könnte. Ich höre ihm fast zwei Stunden zu. Gegen 19:00 Uhr wollen Olli und ich am spirituellen Rundgang um die Kathedrale -veranstaltet von der deutschen Pilgerseelsorge - teilnehmen. Wir sind nur zu fünft. Außer uns beiden sind noch ein Pilger sowie Doro und Andi aus München dabei, die Olli beim Kaffee kennengelernt hat. Er muss ihnen so von unserem Vorhaben vorgeschwärmt haben, dass sie auch dabei sind. Sie sind zudem eine Bereicherung für unsere Minigruppe und wir verstehen uns sofort. Der Rundgang mit Hildegard ist sehr interessant und uns werden Symbole der Kathedrale vorgestellt, die in Bezug zu unserer Pilgerschaft stehen. Unmittelbar danach schließt sich ein kleiner Pilgerweg der Barmherzigkeit mit Petra an, inklusive Gang durch die heilige Pforte, kurzer Statio an der Grabstätte des Jakobus sowie weiteren Impulsen in einer Seitenkapelle. Zum Abschluss bekommt jeder noch vomuns begleitenden Pfarrer Wolfgang einen persönlichen Segen mit auf den Weg. Die beiden Angebote treffen bei uns vieren genau ins Herz und lassen wieder einmal die Tränen kullern. Es ist ein würdiger Abschluss unserer diesjährigen Pilgerfahrt und wir sind froh, dass wir dabei sein durften. Daher geht ein ganz herzlicher Dank an dieser Stelle an das Team der deutschen Pilgeseelsorge. Das Abendessen nehmen wir im Casa Manolo ein und machen uns bei eintretender Dunkelheit auf die Suche nach den Pilger- Geist der uns nicht entkommen kann.

Dienstag, 12. Juli 2016

In der Stadt des Lächelns

Ich frage mich wirklich, warum ich schon um 5:30 Uhr wach bin. Sagt mir meine innere Uhr tatsächlich, dass ich früh aufstehen muss, um den Bus von Muxia nach Santiago zu erreichen? Wer weiß es? Tatsache ist, dass Olli und ich unsere Schlaf- und Rucksäcke wie immer rücksichtsvoll ergreifen und einen Stock tiefer erst richtig verpacken. Es gibt da ganz andere Zeitgenossen, die gerne noch den Schlafenden mitteilen möchten, dass sie in absehbarer Zeit die Herberge verlassen werden. Von der Unterkunft sind es nur ein paar Minuten bis zu einer Bar, vor der die Busse nach Santiago abfahren. Unser Bus fährt um 6:45 Uhr, es bleibt also genügend Zeit in der bereits geöffneten Bar ein Frühstück zu sich zu nehmen. Fast pünktlich fährt der Bus tatsächlich los, nachdem wir um jeweils acht Euro für die Fahrt erleichtert wurden. Für eine Dauer von fast 90 Minuten ist das jedoch sehr preiswert im Verhältnis zu unseren heimischen Tarifen. Vom Bushof in Santiago laufen wir mit geschultertem Rucksack zunächst zum Seminario Menor, in dem wir bereits die erste Nacht unserer Reise verbrachten. Wir haben Glück und dürfen tatsächlich schon unsere Einzelzimmer beziehen, obwohl dies erst offiziell ab 13:30 Uhr möglich ist. Danach drehen wir eine Runde durch die noch leblose Stadt und lassen uns in einer Bar zur Pause nieder. Wir treffen in einem Souvenir-Shop Klaus aus Stuttgart und sagen "Lebe wohl". Gegen Mittag will Olli noch einmal in die Herberge zurück, während ich in der Stadt bleibe. Ich habe auch schon einen Plan und werde die Pilgermesse um 12:00 Uhr besuchen. Heute begebe ich mich in die Nähe des Nordportals und habe wiederum Glück, denn der Botafumero wird erneut in Bewegung gesetzt. Nach der Messe schlendere ich durch die Gassen, sehe Karla aus Bonn und, zu meiner Freude, unsere Vermieterin aus dem Vorjahr. Sie scheint bester Gesundheit zu sein und sucht immer noch auf der Plaza de Obradoiro nach Mietern für ihre Zimmer. Den anschließenden Besuch der Markthalle verbinde ich mit einer kleinen Portion Pulpo, den besten, den es in Santiago gibt! Danach finde ich noch ein paar Souvenirs und besorge mir etwas zu trinken. Die nächsten zwei Stunden sitze ich vor der Kathedrale und beobachte die Menschen, die gerade ihre Pilgerfahrt beenden. Dabei bin ich ziemlich tiefenentspannt. Ich spüre, das ich die ganze Zeit ein Lächeln im Gesicht habe. Genauso, wie die ankommenden Pilger! Es ist eine Freude zu sehen, wie die unterschiedlichsten Typen mit ihrem Ankommen umgehen. Die einen lassen sich auf dem Steinplatten vor der Kathedrale fallen, andere liegen sich in den Armen und wiederum andere erreichen singend den Platz. Kurz vor 18:00 Uhr erscheint auch Olli wie vereinbart auf dem Platz und setzt sich zu mir. Wir werden heute Abend nicht mehr allzu viel machen und suchen uns ein Plätzchen im Außenbereich des Cafe Albaroque, wo sich gerade eine Band für ihren Auftritt vorbereitet. Es wird ein schöner Abend mit inspirierender, keltischer Musik und einem netten Gespräch mit unseren Tischnachbarn aus der Schweiz.

Montag, 11. Juli 2016

Wenn dein Herz angekommen ist, bist du auch bald da

Heute wird der letzte Tag sein, an dem wir eine Etappe auf unserem Camino laufen werden. Ab 7:30 Uhr soll es Frühstück geben, jedoch beginnen die Vorbereitung des Personals erst eine Viertelstunde später. Das ist halt die spanische Mentalität. Trotzdem genießen wir das Frühstück und machen uns dann um 8:20 Uhr auf den Weg. Olly wirft unterwegs noch ein paar Postkarten ein und dann beginnt es leicht zu nieseln. Wir ziehen die Schutzhauben über die Rucksäcke und folgen der Markierung aus Fisterra heraus. Dabei verlaufen wir uns das erste Mal auf dieser Tour, jedoch finden wir rasch auf den richtigen Weg zurück. Es geht durch einige Dörfer und dann erwartet uns der erste Anstieg. Dort verlaufen wir uns erneut, bemerken die falsche Richtung jedoch und haben im Ergebnis rund achthundert Meter Umweg gemacht. Kurz darauf begegnet uns Fuji, dem wir schon in der Negreira zum ersten Mal getroffen haben. Er ist zunächst nach Muxia gelaufen und hat nun Fisterra zum Ziel. Es kommen uns einige Leute entgegen, aber wir kennen niemanden von ihnen. Zum Glück für uns hat es schon seit geraumer Zeit aufgehört zu regnen. Stattdessen beehrt uns die Sonne samt blauem Himmel und vereinzelten Wölkchen. Hinter einer Biegung haben wir wieder Blick auf den Ozean. Das Rauschen der Wellen ist trotz der deutlichen Entfernung zu vernehmen. Es wechseln sich nun schattige Waldwege mit einsamen Wirtschaftswegen ab. Nach genau fünfzehn Kilometern erreichen wir Lires, wo wir in einer Bar den notwendigen Stempel des heutigen Tages erhalten. Zudem nutzen wir die Gelegenheit zum zweiten Frühstück. Hinter Lires befindet sich eine neue Brücke über einen Fluss. Früher musste man hier über Granitblöcke waten, die noch heute im Wasser liegen. Die Landschaft wird zunehmend grüner, links und rechts befindet sich Ackerfläche für Mais oder Kohl. Es folgt ein weiterer intensiver Anstieg, der uns innerhalb von rund acht Kilometern mit einem Höhenunterschied von 300 Metern beglückt. Danach erfolgt der Abstieg über einen ausgewaschenen Weg mit groben, weit auseinander liegenden Steinen. Olli läuft schon die ganze Zeit fröhlich pfeifend hinter mir. An einer gelben Mülltonne prangt ein toller Spruch, der uns beiden so gut gefällt, dass wir ihn sofort zum Motto des Tages ausgewähen. Schließlich erblicken wir wieder das Meer und laufen an einer Straße entlang nach Muxia hinein. Gegen 15:15 Uhr sind wir in der öffentlichen Herberge und erhalten zwei Betten. Nach den üblichen Pflegemaßnahmen wollen wir der Wallfahrtskirche Virxen de Barca einen Besuch abstatten. Im Dezember 2013 hat die Kirche nach einem Blitzeinschlag große Schäden davongetragen. Diese kann man heute noch deutlich im Altarraum erkennen. Wenn man oberhalb der Kirche auf den Felsblöcken sitzt, wirkt diese tatsächlich wie ein ruhender Fels in der Brandung. Der Atlantik kracht unter lautem Getöse an die bizarren,  im Laufe der Zeit rund gespülten Felsformationen und hinterlässt nur weiße Gischt. Es ist ein faszinierendes Schauspiel. Wir lassen die Natur eine Weile auf uns einwirken und gehen dann zurück in die Stadt, um etwas zu essen. Doch zunächst haben wir eine sehr interessante Unterhaltung mit Carola, Gabi und Thomas aus Köln, die von A Coruna aus den Küstenweg bis nach Muxia gelaufen sind. Nun sitze ich auf der Dachterrasse unserer Herberge und schreibe diese Zeilen. Direkt vor mir versinkt die Sonne allmählich im Meer. Morgen früh werden wir um 6:45 Uhr mit dem Bus zurück nach Santiago fahren. 

Sonntag, 10. Juli 2016

Es gibt keine Zufälle in Fisterra

Eigentlich sollte in der vergangenen Nacht die gleiche Band spielen, wie vor zwei Tagen in Negreira. Selbst die Uhrzeiten sollten identisch sein, also wieder einmal zur Schlafenszeit. Glücklicherweise kam der Schall nicht so intensiv bis zu unserer Herberge herüber, so dass wir sehr gut geschlafen haben. Für 8:00 Uhr haben Olli und ich Frühstück bestellt. Die Mädels machen sich über die Reste des Abends her, während wir Toast mit Marmelade verzehren. Um 8:30 Uhr sind wir soweit fertig, dass wir uns verabschieden wollen. Einen Eintrag in das Gästebuch von Maria und Guzman haben wir bereits verfasst. Wir bedanken uns ganz herzlich für die Aufnahme in dieser tollen Herberge. Hier wurde an alles gedacht, was der Pilger braucht. Da zeigt sich auch die eigene Pilgererfahrung, die in die Gestaltung des Hauses Einzug gehalten hat. Ich kaufe mir noch einen schönen silberfarbenen Muschelanhänger und dann wollen wir wirklich los. Da entdeckt Maria an meinem Rucksack meine Ledermuschel, die sie wohl schon einmal bei einem anderen Pilger gesehen hatte. Ich lasse sie spontan von Olli abnehmen und schenke sie Maria. Sie kann es gar nicht fassen und man sieht ihr die Freude darüber an. Bisher habe ich diese Muschel noch nie ab meinem Rucksack festgemacht und auf eine Pilgerreise mitgenommen. Warum ich sie dieses Mal dabei hatte, kann ich gar nicht sagen. Jetzt weiß ich, warum. Blöderweise ist es draußen sehr trüb, es fällt feiner Nieselregen. Ich wechsele mal schnell von Sandalen auf Wanderstiefel und dann ziehen wir endlich los. Zunächst durchqueren wir Cee und laufen über einen ansteigenden Hohlweg aus der Stadt heraus. Viel zu sehen gibt es unterwegs nicht, da der nebelvorhang zu dicht ist. Lediglich das Rauschen des Atlantiks ist hin und wieder zu vernehmen. Kurz darauf haben wir einmal freien Blick auf eine kleine, sandige Bucht und es dauert nicht mehr lange, bis wir selbst an einen Strand gelangen. Dort kehren wir in einer Bar ein und machen eine kurze Pause. Irgendwie scheinen wir jedoch zu stören. Sind das schon die Auswirkungen auf nervige Touristenströme? Das ist uns egal, wir ziehen einfach weiter. Bisher sind wir immer freundlich behandelt worden. Die Menschen grüßen auf der Straße zurück und sind sehr hilfsbereit. Über einen mit unregelmäßigen Steinen gepflasterten Weg erreichen wir Fisterra. Immer noch ist es grau. Wir wollen im Hotel Ancora einchecken, können unser Zimmer aber erst in zwei Stunden beziehen. So lassen wir unsere Rucksäcke im Hotel und spazieren etwas durch die Stadt. Unterwegs treffen wir nacheinander Klara, Natalie und die Girls aus Halle. Am Hafen bleiben wir am Ticketverkauf für Bootstouren stehen, weil dort handbemalte Jakobsmuscheln verkauft werden. Das ist für mich die Gelegenheit, endlich das Pilgerzeichen für dieses Jahr zu bekommen. "Mein" Geschäft in Santiago hat ja anscheinend geschlossen. Ich werde fündig und bin sehr froh darüber, hier in Fisterra meine Muschel gefunden zu haben. Das kann kein Zufall sein. Allmählich überkommt uns ein Hungergefühl und wir suchen uns ein Restaurant. Wir wählen das O Pirsta aus am Hafen aus. Einen Tisch weiter sitzt eine Bedienung des Hauses und spricht uns in perfektem Deutsch an. Maria aus Freiburg lebt seit einigen Jahren in Fisterra und ist aus Liebe hier geblieben. Sie empfiehlt uns die Plata Pirata für 2 Personen, die mit zwei Sorten Fisch, Calamaris und vier verschiedenen Sorten Muscheln bestückt ist. Im Gespäch mit ihr stellt sich heraus, dass ihre Tochter die Namensgeberin von Manolo Links neuem Buch "Maria Melina" ist. Soll das auch noch Zufall sein? Das Essen ist vorzüglich und wir sind total begeistert. Zum Abschluss testen wir noch ein paar Entenmuscheln, eine Spezialität der Region, die uns schon Fernando in Betanzos empfohlen hatte. Die Krönung ist der hausgemachte Schokoladenkuchen zum Dessert. Wir bedanken uns persönlich bei Maria und verabschieden uns ganz herzlich bei ihr. Inzwischen hat sich die Wolkendecke etwas gelöst und die Sonne und blauer Himmel erfreuen unser Gemüt. Zufrieden beziehen wir unser Zimmer, besorgen uns in der öffentlichen Herberge die Fisterrana und am nächsten Kiosk noch eine Flasche Rotwein. Gegen 18:00 Uhr machen wir uns langsam auf den Weg zum Leuchtturm, in der Hoffnung einen schönen Sonnenuntergang zu erleben.

Samstag, 9. Juli 2016

Wo der Atlantik den Horizont küsst...

Die Nacht verlief sehr ruhig, aber um 5:00 Uhr beginnen die ersten, ihre Sachen zusammenzupacken. Die meisten wollen heute bis Fisterra durchlaufen, und das sind immerhin gut 33 Kilometer. Dann Olli und ich nur bis Cee pilgern wollen, drehen wir uns einfach noch einmal um. Erst gegen 7:00 Uhr beginnen wir mit den Vorbereitungen für den Tag, um 8:00 Uhr verlassen wir als letzte die Herberge. Zunächst geht es nur bergauf zu einem Höhenweg. Links unter uns wird der Rio Xallas aufgestaut, dahinter stürzt er laut in ein Seitental hinein. Nach einer guten dreiviertel Stunde erreichen wir die Bar und Herberge von Logoso, wo sich gerade Miriam, Jette, Fine und Emi die Rucksäcke aufschnallen und ihre Pause beenden. Dabei erfahren wir, dass die Mädels heute in derselben Herberge in Cee übernachten, wie wir. Zu uns gesellt sich nun ein Ehepaar aus Füssen, das bis vor vier Jahren noch am Niederrhein lebt. Wir unterhalten uns ein wenig über ihren Jakobsweg. Hier trifft sich halt die Welt! Wir nehmen ein kleines Frühstück ein und laufen gut gelaunt weiter. An einer Straßenkreuzung teilt sich der Weg. Nach links geht es weiter nach Fisterra, nach rechts geht es nach Muxia. Wir wählen die erste Variante und gelangen zu einem Pistenweg, der uns durch eine karge Landschaft führt. Überall drehen sich auf den umliegenden Höhenzügen Windräder. In dem Moment werden wir von einem jungen Pärchen aus Mainz überholt. Es dauert nicht mehr lange, da taucht am weiten Horizont bereits ein schmaler Streifen Blaues auf: der Atlantik. Auch wenn dieser Landstrich nicht so stark bewachsen ist, hat er trotzdem seine Reize. An der Capella da nossa Senhora das Neves rasten gerade unsere Pilgerbekanntschaften aus Halle und Mainz. Der folgende Abschnitt über die Schotterpiste ist nicht so schön, dafür entschädigt er mit wunderschönen Ausblicken, nicht nur in Richtung Ozean, sondern auch ins Landesinnere. Dann kommt der Augenblick, wo wir erstmals Fisterra und das Kap in der Ferne erkennen können. Der Weg führt nun steil ab und man hat das Gefühl, auf einer riesengroßen Tribüne abwärts gefahren zu werden. Dabei öffnet sich der Blick auf die Ria de Corcubion und Cee immer mehr. Uns wird ein Schauspiel präsentiert, das Seinesgleichen sucht. Zwischen dem strahlend blauem Meer und dem nur leicht abweichenden Farbton des Himmels scheint es keinen erkennbaren Übergang zu geben. Es ist einfach traumhaft, diese Inszenierung dargeboten zu bekommen. Von hier oben gesehen, muss es der Weg ins Paradies sein. Olli und ich steigen weiter ab, und bekommen vor staunen den Mund kaum noch zu. Und das soll der Weg zum Ende der Welt sein? In Cee checken wir in der Albergue A Casa da Fonte und werden von Guzman begrüßt. Die Herberge ist hell, einfach, großzügig und mit allem versehen, was der Pilger braucht. Hier fühlen wir uns sofort wohl. Kurz nach uns kommen die Mädels und wir beschließen, heute gemeinsam zu kochen. Nach dem Einkauf verschwinden Miriam, Jette, Fine und ich in der Küche und bereiten Salat, Nudeln und Soße vor. Olli hängt in der Zwischenzeit die Wäsche von uns allen auf, die während des Einkaufes gewaschen wurde. Dann bitten die Köche zu Tisch und es schmeckt vorzüglich. Wir sind schon eine tolle Truppe.

Freitag, 8. Juli 2016

High Noon am Monte Aro

Eigentlich wollten wir den Abend bei einem kleinen Estrella ausklingen lassen, aber es kam dann doch anders. Zunächst trudelten drei Franzosen in die Herberge, die eigentlich "completo" war. Da sie jedoch hinter dem Haus ihre Zelte aufschlagen wollten, war alles in bester Ordnung und keiner hatte etwas dagegen. Kurz darauf erschienen Sibille und Leonhard aus Innsbruck, die bisher den Camino del Norte gelaufen waren. Sie entschlossen sich spontan, mit ihren Schlafsäcken ebenfalls draußen zu übernachten. Mit den beiden kamen wir in ein sehr schönes Gespräch, das durch das Eintreffen zweier weiterer Personen unterbrochen wurde. Es handelte sich um einen Deutschen mit seiner spanischen Begleiterin, dem die Outdoor-Übernachtung ebenfalls recht war. Nun führten wir zu dritt ein richtig gutes Gespräch. Der junge Mann stammte aus Zwickau, hatte im Westerwald Schmied gelernt und lebt nun in Vigo. In Gedanken taufe ich ihn auf den Namen "Der Schmied". Er erzählt eine fesselnde Geschichte zu Fisterra und Muxia: "Jeder Schritt auf dem Jakobsweg und nach Fisterra ist ein Tag deines Lebens. Am Kilometerstein 0 ist alles zu Ende und du stirbst. Gehst du jedoch weiter nach Muxia, wirst du wiedergeboren und alles beginnt erneut ." Ich bin begeistert von dieser Idee, man kann sie sehr gut in sein eigenes Leben übertragen. Für mich bedeutet es, dass du am Ende deiner Pilgerreise in Fisterra, am Ende der Welt, deinem Balast ablegst, um mit dem Neubeginn in Muxia ein verändertes Leben zu führen. Gegen 23:00 Uhr überkam uns die Müdigkeit und wir zogen uns in die jeweiligen Schlafplätze zurück. Kurz darauf ertönten draußen Kanonenschläge. In Negreira wurde ein kleines Feuerwerk abgebrannt und das nächste Feuerwerk vernahm ich dann gegen 3:15 Uhr, als ich von lauter Musik wach wurde. Ich konnte es kaum glauben, aber in der Stadt fand mitten in der Nacht ein Konzert statt. Unglaublich! Unsere Vorbereitung für den heutigen Tag beginnt um kurz nach 5:00 Uhr, eine Stunde später stehen wir in den Startlöchern. Einige Pilger sind bereits unterwegs. Wir verlassen mit den Mädels die Herberge und tauchen in die Dunkelheit ein. Die erste Passage beleuchtet uns Olli mit der Taschenlampe seines Handys, sonst wäre es schwierig bei jedem Schritt. Die Mädels sind flott unterwegs und schon bald aus unserem Blickfeld entschwunden. Dafür sind zahlreiche andere Pilger unterwegs, die wir nicht alle kennen. Nach 12 Kilometern machen wir in einer Bar erstmals Rast und lernen einen Pilger aus Frankfurt kennen. Wir kommen heute gut voran und wollen wieder in der öffentlichen Herberge übernachten, die zweiunddreißig Betten bietet. Wir laufen vornehmlich auf kleinen, wenig befahrenen Straßen. Vor uns und hinter uns sind so viele Menschen unterwegs bis ans Ende der Welt, wie wir es noch nicht erlebt haben. Einige sind sehr offen, anderes sehr in sich eingekehrt. Am Rande des Weges befinden sich überwiegend landwirtschaftliche Nutzflächen, über die man bei inzwischen blauem Himmel wunderbar in die Weite schauen kann. Die Temperatur steigt allmählich an, so wie unser Weg. Der Schmied hat uns schon vor dem grünen Berg gewarnt. Damit hat er den Monte Aro gemeint, der sich vor uns auftürmt. Wir müssen zum Glück nicht bis ganz nach oben, sondern umlaufen ihn überwiegend. Während des Abstieges haben wir einen herrlichen Ausblick auf einem größerem See, dem blau erscheinenden Encoro da Fervenza. Es geht weiter durch kleine Dörfer, die von zahlreichen vor Horreros (Kornspeicher) umgeben sind. Nach knapp 33 Kilometern haben wir die Königsetappe unserer Pilgertour mit einer Gehzeit von 6:25 Stunden ganz gut hinbekommen. Wir finden schnell die Pilgerherberge, die sich auf mehrere Häuser eines alten Bauernhofes verteilt, und wir können uns Im großen Haus ein Bett aussuchen, da wir dort die ersten sind. Die Hospitalera wird erst um 19:00 Uhr zu Registrierung erscheinen. Die Zeit nutzen wir zu unseren täglichen Nachbereitungen, die auch in der benachbarten Bar O Peregrino stattfinden. An unseren Tisch gesellt sich etwas später Klara aus Bonn, die vor ziemlich genau vier Monaten von zuhause aus durch Frankreich und dann auf dem Camino del Norte und dem Camino Primitivo nach Santiago unterwegs war. Sie ist eine angenehme Gespächspartnerin, mit der wir uns längere Zeit über ihre Erfahrungen in einer sehr angenehmen Atmosphäre unterhalten. Dazu bekommt sie noch Tipps für einen geplanten Marathonlauf. Zum Abendessen sitzen wir mit Nathalie, Klara und Klaus zusammen und haben eines schöne Zeit.

Donnerstag, 7. Juli 2016

Die letzten Betten gehören uns 2.0

Jetzt haben wir schon die zweite Nacht hintereinander in Bettwäsche verbracht und sehr gut geschlafen. Frühstück ist heute inbegriffen und das ist für spanische Verhältnisse richtig gut. Sehr spät - nämlich um 8:45 Uhr machen wir uns erst auf den Weg. Zunächst geht es am Parador die Treppen runter und geradeaus zu einem Park. Hier befindet sich der erste Monolith mit Kilometerangaben für Fisterra und Muxia. Außerdem beginnen auch wieder die Wegmarkierung in Form von gelben Pfeilen. Wir treffen eine Französin, die wir ein Stück begleiten und dann doch noch überholen. Ihr Tempo ist uns einfach zu langsam. Kurz danach rasen zwei sportlich aussehende Spanier den folgenden leichten Anstieg an uns vorbei. So viele andere Pilger haben wir auf dem Camino Ingles unterwegs nicht gesehen, hier ist richtig was los. Olli und ich werden sicher durch die Markierungen über kaum befahrene Straßen, schöne Waldwege und durch ansehnliche Dörfer geführt. An der ersten Bar machen wir eine kurze Rast und lernen Nathalie aus der Schweiz und Klaus aus Stuttgart kennen. Es geht noch eine Weile abwärts, dann kommt der Hammer des Tages: auf rund drei Kilometern Länge erklimmen wir den Alto do Mar de Ovellas mit einem Anstieg von rund zweihundert Höhenmetern. Der Schweiß läuft wieder in Strömen und wir sind froh, dass wir bei rund 30° unbeschadet vorwärts kommen. Auf dem Weg zum Gipfel überholen wir einige Pilger, die schwer zu kämpfen haben. Auch die beiden Spanier lassen wir an einer Ruhebank links sitzen. Wir sammeln immer mehr Pilger ein, darunter auch Vater und Tochter aus Porrino. Insgesamt werden es heute rund 25 Personen sein die wir hinter uns lassen, dabei sind wir gar nicht so schnell unterwegs. Die alle nehmen uns schon mal kein Bett in Negreira weg. Nach einer kurzen Passage erreichen wir in Ponte Maceda eine wunderschöne alte Brücke, die eine traumhafte Kulisse für Fotos abgibt. Danach ist es nicht mehr weit, bis Negreira. Im Zentrum erfahren wir an einer Pilger-Information, dass in der öffentlichen Herberge noch drei Betten frei seien. Davon ergattern wir um 14:15 Uhr tatsächlich noch zwei. Die Herberge liegt allerdings rund 1,5 Kilometer außerhalb der Stadt. Es erfolgt das übliche Prozedere: einchecken, duschen, waschen, Leute kennenlernen. Heute sind hier zwei Japaner, ein Italiener, vier Deutsche, die uns schon bekannten Vater und Tochter (die von ihrer Familie besucht werden) und ein paar behinderte Gäste zugegen. Miriam, Jette,  Feline, Emi sind Schülerinnen aus Halle. Sie haben bereits Sommerferien und sind zweihundert Kilometer auf dem Camino Frances gelaufen. Emi muss für die Schule eine Jahresarbeit mit praktischem Anteil erstellen und da hat sie sich den Jakobsweg ausgesucht. Wir unterhalten uns über Sinn und Zweck des Weges, über Motivation und Antrieb. Es ist eine interessante Unterhaltung. Vor allem ist schön, mal sich wieder mit anderen auf Deutsch zu unterhalten. Gegen 16:00 Uhr gehen Olli und ich in die Stadt, um etwas einzukaufen. Wir kochen heute Abend Nudeln mit Thunfisch-Tomatensoße und lassen den Tag bei ein wenig Estrella ausklingen.

Mittwoch, 6. Juli 2016

Tränenreicher Einzug nach Santiago

Ich glaube, Olli war heute Nacht extrem aufgeregt. Er wird zum ersten Mal einen Camino in Santiago beenden. Für mich ist es nach dem vergangenen Jahr das zweite Mal. Irgendwie bin ich ruhig und gelassen, fühle mich beinahe schon routiniert. Bevor der Wecker klingelt, steht Olli auf und macht sich frisch, kocht Kaffee und bereitet das Frühstück vor. Auch ich bin dann schnell aus dem Bett, habe ein menschliches Bedürfnis. Wir verspeisen ein paar Scheiben Toast mit Marmelade und überlassen die Küche Kathlyn und ihrer Familie. Dann halten wir es nicht mehr aus und schultern die Rucksäcke. Schon recht bald sind wir aus Sigüeiro heraus und laufen durch kühlen Wald. Und schon bald haben wir einen ersten, aber nicht so steilen Anstieg vor uns. Endlich kommt auch die Sonne wieder zum Vorschein und sorgt für eine wohlige Wärme. Nach rund 5 Kilometern kehren wir in Merantes in eine Bar ein und genehmigen uns ein Heißgetränk sowie den dazu gereichten Kuchen. Das tut gut und sorgt zudem für den ersten von zwei notwendigen Stempeln für den heutigen Tag. Der Weg führt uns weiterhin vornehmlich durch die Natur und wartet noch einmal mit einem Anstieg auf. Plötzlich taucht aus einem Seitenweg eine größere Schülergruppe vor uns auf, die am Rande eines Gewerbegebietes eine Rast einlegt. Gegenüber befindet sich noch einmal eine Bar, wo wir letztmalig einkehren. Dort treffen wir eine Familie aus Novo Sancti Petri, südlich von Cadiz gelegen. Hier war meine Familie mit einer Gruppe schon neunmal für eine Sportreise zugegen. Ich liebe diese Gegend in Andalusien. Zufälle gibt es! Wir durchqueren das Gewerbegebiet und erreichen die ersten Ausläufer von Santiago. Dabei kommen wir zwei Pilgern näher, die sich Jardi und der Großvater ihres Freundes aus Alicante herausstellen. Die beiden haben wir erstmals in Hospital da Bruma kennengelernt, als er sich bei unserer Ankunft über einem gehäuften Teller mit kleinen Schnecken hermachte. Es entwickelt sich eine nette Unterhaltung. Jardi kann ein wenig Englisch. Gemeinsam kommen wir dem Zentrum von Santiago näher. Mir wird es dabei komisch zumute, meine Schritte werden langsamer, als wolle ich diesen Einmarsch noch herauszögern. Die ersten Tränen kullern schon aus den Augen. Der Zeitpunkt ist wohl gekommen, an der Pilger auf dem diesjährigen Casino weinen muss. Wir passieren die Franziskuskirche und der Tränenfluss will nicht mehr aufhören. Ich genieße die letzten Meter bis zur Plaza de Obradoiro noch intensiver als im vergangenen Jahr. Punkt 11:00 Uhr treffen wir mit Glockenschlag auf der Plaza ein. Es ist ein umwerfender Augenblick, wieder vor der Kathedrale stehen zu dürfen. Ich möchte am liebsten die ganze Welt umarmen und greife mir einfach meine Begleiter der letzten Kilometer. Jardi und der Großvater verabschieden sich herzlich von uns. Olli und ich geben unsere Rucksack schnell im Pilgerbüro ab, dann geht es mit flotten Schritten zur Kathedrale, denn gleich beginnt der Pilgergottesdienst. Leider ist kaum noch Platz in der Kirche. Auf dem Weg nach ganz hinten sehen wir Kathryn and family und begrüßen sie. Dann beginnt der Gottesdienst und bei mir lösen sich wiederum die Tränen aus den Augen. Die Messe ist der sehr emotional für mich. Meine Gedanken sind bei meiner Familie und der Verwandtschaft, meiner verstorbenen Oma und Tante, bei meinem Pilgerfreund Franz-Josef und Jörg, der dieses Jahr nicht mit unterwegs sein kann. Ich bin dankbar für den bisherigen Weg, den ich mit Olli gehen durfte. Es hat bisher unheimlich viel Spaß gemacht. Das Fass zum Überlaufen bringt am Ende der Messe das Schwenken des Botafumero, das ich jetzt zum dritten Mal erleben darf. Nach der Pilgermesse geht es zurück ins Pilgerbüro, um die Compostela und die Rucksäcke abholen und schließlich in San Martin Pinario einzuchecken. Diese gehobene Unterkunft ist unsere Belohnung für den Camino. Auf dem Weg dorthin werden wir von einer Frau angesprochen, ob wir eine Unterkunft benötigten, was wir aber verneinten. Leider stelle ich zu spät fest, dass es sich bei der Dame um unsere letztjährige Vermieterin handelt. Nun heißt es duschen, frisch machen und die Stadt erkunden.  Wir gehen noch einmal in die Kathedrale - natürlich durch die Heilige Pforte, die ja wegen dem vom Papst ausgerufenen Jahr der Barmherzigkeit geöffnet ist. Zudem nutzen wir die Gelegenheit zu einer Umarmung der Jakobusstatue und begeben uns anschließend in die Krypta zum Sarg des Jakobus. Hier unten entzünde ich eine Kerzen für Franz-Josef und die Lebenden und Verstorbenen meiner Familie. Auf dem Kathedralplatz treffen wir Sebastian, mit dem wir uns noch ein wenig unterhalten. Wir verabschieden uns von ihm, denn er wird erst einen Tag nach uns auf den Camino Fisterra gehen. Auf unserem weiteren Rundgang durch Santiago treffen wir noch weitere Pilger, die wir in den vergangenen Tagen kennengelernt haben. Darunter sind der Vater von James, die Familie aus Andalusien und Vater und Tochter, die in Porrino am Camino Portugues leben. Die beiden werden wir wohl in den nächsten Tagen noch öfters sehen, denn auch sie werden morgen den gleichen Weg wie wir einschlagen. Leider muss ich feststellen, dass das Geschäft, in dem ich vergangenes Jahr meine ganz spezielle Pilgermuschel bekam, wohl nicht mehr existiert. Zum Abschluss des Abends kehren wir noch in einer Pulperia ein und nehmen unser Abendessen zu uns. Danach wird es Zeit, wieder in die Unterkunft zurückzukehren, denn morgen früh wollen wir uns um 7:30 Uhr zum Frühstück begeben und danach direkt auf den Weg machen.

Dienstag, 5. Juli 2016

Übernachtung bei einem Engel des Camino Inglés

Gestern Abend ist es doch noch spät geworden. Olli und ich waren so ziemlich die letzten Gäste die das Casa Grana verlassen haben. Auf den Hof der Herberge trafen wir noch Sebastian, den Slowenen. Während ich mit ihm noch ein Bier trank und erneut eine interessante Unterhaltung hatte, machte Olli sich bettfein. Bei dem Gespräch stellten wir fest, dass wir beide unsere Wurzeln in der Punkmusik hatten. Heute morgen wird es sehr früh unruhig im Haus,vor allem im oberen Stockwerk ist schon richtig was los. Wir lassen uns bewusst Zeit, denn wir wollen bei Maria im Restaurant ein Frühstück einnehmen. Diese Idee haben aber auch noch andere und so sitzt nun mindestens etwas mehr als die Hälfte im Gastraum vor einem gefüllten Teller. Erst um 8:45 Uhr brechen wir auf, nur die Mädels bleiben sitzen. In O Castro hat ein Künstler einige Skulpturen aufgestellt, darunter auch einen überdimensionalen Pilger. Kurz darauf laufen wir auf James und seinen Vater aus New York auf. Ich unterhalte mich in den nächsten Minuten mit dem mit starkem amerikanischen Akzent sprechenden Mann. Irgendwie hat James, den ich auf circa 13 oder 14 Jahre schätze, genug davon und möchte wieder mit seinem Dad alleine weiterlaufen. Damit haben wir überhaupt kein Problem und ziehen alleine weiter. Der Weg führt uns nun auf wenig befahrene Straßen nach Buscsas. Dort begrüßt uns aus einer Bar Sebastian mit einem Bier in der Hand. Wir wundern uns nur, er müsste eigentlich nach uns in Bruma gestartet sein. An der nächsten Ecke entdecken wir die kleine örtliche Kirche, die zu unserem Erstaunen geöffnet ist. Da lassen wir uns nicht zweimal bitten und schauen uns das für die Größe der Kirche erstaunlich prächtige Inventar an. Außerdem spreche ich leise vor mich hin ein kurzes Gebet für meinen verstorbenen Pilgerfreund Franz-Josef. Morgen werde ich in der Kathedrale zu seiner Erinnerung eine Kerze entzünden. Dabei schließe ich alle Verstorbenen meiner Familie mit ein. Nun wechseln sich hübsche Hohlwege mit kleinen Straßen ab. Gegen 11:30 Uhr machen wir eine Rast in Calle, dort bittet uns die Bar Cruzeiro zu einem Imbiss, der aus Tortilla de patatas besteht. Und erneut wundern wir uns über Sebastian, der anscheinend an uns vorbeigeflogen ist. Gesehen haben wir ihn jedenfalls nicht. Bei uns wird es nach dem Snack Zeit, wieder Staub unter die Füße zu bekommen. Zunächst pilgern wir auf angenehmen Waldwegen, dann gibt es wieder vermehrt Asphalt. In dem Örtchen Baizoia entdecke ich einen Getränkeautomaten, dem wir zwei Dosen Shandi entlocken können. Danach wird es richtig schwierig für den Kopf, es geht gefühlt kilometerlang auf einem Schotterweg geradeaus in Richtung Sigüeiro. Unterwegs treffen wir vermehrt Pilger, die es sich im Gras gemütlich gemacht haben. Einige werden wir später in unserer Herberge wiedersehen. Endlich ist die langwierige Pilger-Autobahn zu Ende und wir sind am Rande von Sigüeiro gelandet. Über mein Handy navigiere ich uns zur Albergue de Delia, in der uns mein Pilgerfreund Stefan - der dort Dauergast ist - eingebucht. Dafür sei Stefan an dieser Stelle gegrüßt und gedankt. Wir treffen dort um 14:45 Uhr ein und werden von Maria mit einem Lächeln begrüßt. Sie zeigt uns die Einrichtung, dann erledigen wir die Formalitäten. Maria hat ihre Albergue sehr liebevoll eingerichtet und bemüht sich sehr intensiv und das Wohl ihrer Gäste. Die vielen "Danke-Zettel" an den Wänden zeigen eindrucksvoll ihr Wirken. Wir fühlen uns jedenfalls sofort sauwohl. Bereits vor uns sind Sunya, ihr Mann Steven und ihre Tochter Kathryn - ebenfalls aus New York - eingetroffen, die wir auch von gestern her kennen. Kathryn kann ganz gut Spanisch und hilft uns als Dolmetscherin. Olli sagt mir später, dass sie und weitere Übernachtungsgäste aus Bruma der Meinung waren, ich sei ein Arzt. Ich habe keine Ahnung, wie man darauf gekommen ist. Inzwischen sind wir geduscht und unsere Wäsche macht in der Waschmaschine einen Überschlag nach dem anderen. Den Rest des Tages ruhen wir uns aus, gehen noch eine Kleinigkeit essen und bereiten uns auf den Einzug in Santiago de Compostela vor. Hilfreich wird dabei die Nacht in kuscheliger Bettwäsche anstatt im, Schlafsack sein, eine weitere Annehmlichkeit unserer Albergue. Beim Abendessen treffen wir nochmal die vier Mädels und bei der Rückkehr zuer Albergue gibt uns Maria noch zahlreiche Tipps für die weitere Reise. Dazu gesellen sich noch Karhryn mit Familie und wir plauschen noch ein wenig über den Camino.


Montag, 4. Juli 2016

Ist sie nicht wunderbar - diese Schöpfung

Um 5:40 Uhr ist heute die Nacht zu Ende. Wir wollen früh die Herberge verlassen um bereits einige Kilometer in der noch kühlen Morgendämmerung zu pilgern. Pünktlich um 6:30 Uhr stehen wir auf der Straße und laufen in Richtung Plaza Galicia. Es sind kaum Menschen unterwegs. Nur eine kleine Gruppe Pilger schleicht herum und sucht eine Gelegenheit zum Frühstücken. Wir verlassen Bestanzos und es geht zunächst einmal aufwärts. Zum Glück dauert es nicht lange und wir laufen durch die reine Natur. Hin und wieder passieren wir einige Häuser, die von bunten Blüten umrahmt sind. An einem überwucherten Sportplatz, bei dem gerade noch die Latten der Tore herausschauen, geht es in den Wald hinein, den wir aber schon rasch wieder verlassen können. Die Kirche San Esteban de Cod ist natürlich verschlossen, aber von hier oben hat man bei klarer Sicht einen weiträumigen Blick auf die umliegenden bewaldeten Hügel. Die Landschaft erinnert mich sehr an unsere heimischen Mittelgebirge. An einigen Stellen hat ein Unbekannter kleine Zettel mit Sprüchen hinterlassen. Zum Beispiel steht da drauf: There is no path to peace, peace is the path (Gandhi). Die Landschaft wird immer schöner. Wir laufen durch Hohlwege, auf den Eidechsen aus Furcht vor uns ihre sonnigen Plätze fluchtartig verlassen. Manchmal ist auch ein kleiner Vogel vor uns auf dem Weg, schaut uns an und fliegt einfach weg. Und wieder haben wir einen Anstieg vor uns. Zu beiden Seiten des Weges wächst Strauchwerk, aber der Boden ist übersät mit Wurzeln, die sich in alle Richtungen ihren Weg gebahnt haben. Schließlich sehen wir den Hinweis auf die Herberge von Presedo, die noch relativ neu sein soll. Dort angekommen, treffen wir die vier spanischen Studentinnen, die sich gerade im Aufbruch befinden. Sie erklären uns den Weg zum Restaurant Meson Museo, wo man etwas zu essen bekommen kann. Von dem Restaurant sind wir begeistert und bekommen für kleines Geld ein Omelette mit Käse. Kurz bevor wir uns wieder auf den Weg machen wollen, trudeln auch die Mädels ein und bestellen sich ihr Frühstück. Ihr Ziel ist heute ebenso Hospital de Bruma. Olli und ich wollen weiter, es ist inzwischen 10:30 Uhr und wir haben knapp die Hälfte geschafft. Wir tauchen wieder in die Natur ein und genießen herrliche Blicke in die saftig grüne Landschaft. Auf einer Wiese erholt sich ein Pferd, auf der nächsten versorgen sich Schafe mit ihrer Morgenmahlzeit. Wir freuen uns an der Schönheit der Gegend und sind total begeistert. Diese unberührte Natur ist glücklicherweise noch nicht durch irgendwelche hässlichen Industrie- und Gewerbeanlagen verschandelt und gehört auch für die Zukunft davor bewahrt. In Vilacoba kehren wir für ein kleines Bier zwischendurch in die Bar Casa Julia ein. Danach hat der Schöpfer dieser tollen Umgebung eine besondere Herausforderung für uns parat: es geht steil aufwärts für circa 2,5 km. Der Schweiß läuft gefühlt literweise aus den Poren und unser Tempo verringert sich schlagartig. Nach einer Ewigkeit haben wir den höchsten Punkt erreicht. Hier oben befinden sich Weideflächen und die braun und schwarz gefleckten Rinder lassen es sich auch gut gehen. Kurz darauf passieren wie ein altes Steinkreuz, das mit Briefen, Steinchen und persönlichen Gegenständen von Pilgern bestückt ist. Ich freue mich aber mehr über einen Getränkeautomaten, der an einem Firmengebäude installiert ist, und entlocke ihm eine Dose Cola, die zufrieden leere. Olli und ich sind danach so in einer Unterhaltung vertieft, dass wir zunächst gar nicht unseren Zielort mit Herberge realisieren. Es ist 14:30 Uhr, und vor uns si gerade einmal vier Pilger vor uns angekommen. Im Laufe des Nachmittags trudeln weitere bekannte Gesichter aus Betanzos ein, und zu unserer Freude auch dir beiden aus New York. Dazu gesellen sich drei weitere Amerikaner und ein Slowene (mit dem ich mich intensiv unterhalte), der Rest kommt aus Spanien. Um 17:45 Uhr braust Applaus auf, denn die vier Mädels ergattern die letzten freien Betten. Am Tag davor haben sie sich wohl hoffnungslos verlaufen und auch heute sind sie längst überfällig. Gegenüber der Herberge hat man neuerdings die Möglichkeit, im Restaurant Casa Grana etwas zu Essen zu bekommen. Das werden wir heute Abend und morgen Früh gerne nutzen.

Sonntag, 3. Juli 2016

Qui habet aures audiendi, audiat!

Die drei kleinen Flaschen Estrella von gestern Abend haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Wir haben in unserem "Männer- Schlafsaal" sehr gut geschlafen. Kein Wunder, wir waren alleine und keine störenden Aufbruchgeräusche von anderen Pilgern waren zu vernehmen. So wird es heute nach 7:00 Uhr, als wir unsere Betten verlassen. Wir haben auch keine Eile, da nur rund 11 km bis Betanzos anstehen. Olli ist heute deutlich flotter als ich, doch dann wird es auch für mich allmählich Zeit, dass ich meinen Rucksack vorbereite. Da müssen nämlich heute meine Wanderstiefel mit rein, da ich in Sandalen laufen werde. Es wird dann doch noch kurz nach 8:00 Uhr, bis wir aufbrechen. Als wir aus der Herberge treten, werden wir von einem Schwarm Möwen lautstark begrüßt. Sie scheinen uns ein paar Meter begleiten zu wollen, drehen dann aber doch ab. Zunächst geht es eine Weile durch Mino. Wir sind überrascht, wie groß der Ort tatsächlich ist und wie wenig um diese Uhrzeit am Sonntag morgen los ist. Einzig das Geräusch eines Staubsaugers ist auszumachen - ein Mann reinigt das Innere seines Autos. Es ist noch frisch, allerdings befinden wir uns derzeit auf der Schattenseite von Mino. Nun geht es abwechselnd auf und ab und ich ziehe die hinteren Riemen meiner Sandalen hoch, damit ich nicht mit den Füßen heraus rutsche. Bei jedem Schritt macht sich Bernd ein wenig bemerkbar, doch ich versuche ihn einfach zu ignorieren. Hilfreich ist dabei die herrliche Landschaft um uns herum. Wir durchlaufen grüne Waldabschnitte und alte, galizische Dörfer. Im Wald spielen unzählige Vögel verstecken mit uns. Wir sehen sie so gut wie gar nicht, wir hören sie nur. Am Rande der Wege begleiten uns plätschernd und gluckernd kleine Bäche, die irgendwohin ins Tal hinab fließen. Am Ende eines langen Anstiegs werden wir mit der offenen Pforte der Iglesia San Pantaleon das Viñas belohnt. Das romantische Kirchlein strahlt eine gewisse Ruhe aus, die uns nach dem Anstieg gut tut. Jetzt folgt endlich auch einmal eine Bergabpassage bis Viñas. Dort empfängt uns ein Schild mit dem Hinweis auf eine Bar mit Pilgerstempel - leider (noch) geschlossen. So laufen wir halt weiter, erneut geht es aufwärts zu einer Siedlung, wo uns ein krähender Hahn begrüßt. Er wollte uns wohl den Tipp geben, an der nächsten Bushaltestelle um die Ecke endlich mal eine Pause einzulegen. Das machen wir dann auch und verzehren das restliche Baguette vom gestrigen Abend. Nach einem letzten mühsamen Anstieg treffen wir an einer Kreuzung auf das Kirchlein St. Martin do Tiobre, das natürlich verschlossen ist. Ab jetzt wird es einfacher. Wir haben bereits freien Blick auf Betanzos und verlieren mal mehr, mal weniger an Höhe. Hier begleiten uns auch zwei kleine Hunde, von denen der kleinere uns böse anschaut und laut kläffend verfolgt. Die ersten Straßen der Stadt lassen schon etwas von der Schönheit der Häuser erahnen. An einer Kreuzung entdecken wir den Hinweis auf eine Bar, von dem wir zu gerne Gebrauch machen. Zwei Minuten später es ist per Glockenschlag 11:00 Uhr und wir bestellen zwei Bocadillo mit Käse und Schinken. Frisch gestärkt machen wir uns eine halbe Stunde später auf den Weg über den Rio Mandeo und betreten durch ein altes Stadttor den mittelalterlichen Bereich der Stadt. Da die Herberge nach bis 13:00 Uhr geschlossen ist, statten wir der Igrea Santa Maria do Azougne, der Igrea de San Francisco sowie der Igrea de Santiago Besuche ab. Daneben spazieren wir ein wenig durch die kleinen Gassen und erfreuen uns des Anblickes der typisch galizischen Häuser mit ihren breiten Erkern, die zuweilen über mehrere Stockwerke verlaufen. Pünktlich per Glockenschlag um 13:00 Uhr öffnet die Herberge und wir werden von Hospitalero Fernando aufgenommen. Er ist sehr herzlich, hilfsbereit und spricht gut Englisch, sodass wir eine rege Unterhaltung führen können. Von ihm bekommen wir einige gute Tipps für den heutigen Tag und die morgige Etappe. Die Herberge selbst ist vor drei Jahren umgebaut worden und befindet sich in einem Top-Zustand. Olli und ich sind froh mit diesen Glücksgriff. Wir genießen den restlichen Tag in der Stadt, denn es gibt zahlreiche Cafes und Bars mit Außenbereichen rund um die Hauptplätze. Zunächst besorgen wir Wasser für morgen, denn wir wollen früh los und da wird wohl noch keines der Geschäfte geöffnet sein. Fernando gibt uns noch einen heißen Tipp für eine Pulperia und bestätigt telefonisch bei Maria unsere Unterkunft in Sigüeiro. Gerade schlagen die Glocken der Santiago Kirche die sechzehnte Stunde. Ab jetzt sind die Gotteshäuser wieder geöffnet und wir ziehen wieder los, um auch noch die Igrea de Santo Domingo anzusehen. Wir trinken in einer Bar etwas Kühles und beobachten die laut schreienden Möwen am Himmel. Nach einer weiteren Runde durch die Stadt und am Ufer des Rio Mandeo gelangen wir noch einmal an die San Franziskus-Kirche, wo ich feststelle, dass dort um 18:00 Uhr ein Gottesdienst stattfindet, dem ich gerne beiwohnen möchte. Zu meiner Verwunderung muss ich aber zunächst feststellen dass es davor noch ein Rosenkranz gebetet wird. Nach der Messe gehe ich zurück zur Herberge und hole Olli ab, dann ist es nun Zeit für das Abendessen. Wir wollen in die Pulperia gehen, die uns Fernando empfohlen hat. Olli isst um ersten Mal Pulpo und er scheint nicht abgeneigt zu ein. Anschließend laufen wir wieder in die Herberge, unterhalten uns noch ein wenig mit Fernando und bekommen noch ein Buch - allerdings in Spanisch geschrieben - über den Camino Ingles geschenkt. Die Verabschiedung fällt entsprechend herzlich mit einer Umarmung aus. Danach beginnt für uns die Vorbereitung für die Nachtruhe und es wird still im Schlafsaal.

Samstag, 2. Juli 2016

Darf ich Bernd, meinen neuen Begleiter, vorstellen?

Ich hatte nicht gedacht, dass die Nacht ruhig verlaufen sollte. So täuscht man sich in Jugendlichen. Die Gruppe hat sich sehr gut verhalten, vom Kochen und Zubettgehen habe ich nichts mitbekommen. Olli wird gegen 5:40 Uhr wach und packt leise Ruck- und Schlafsack zusammen und verlässt den Schlafsaal. Ich mache es ihm nach, denn ich bin ebenfalls wach. Anscheinend wollen wir einfach nur auf die Straße. Ein älterer Pilger, der bis jetzt noch nichts mit uns gesprochen hat, verspeist fertig angezogen eine Banane und zwei Orangen. Derweil machen Olli und ich uns ganz gemütlich fertig: Schlafsack zusammenrollen, Füße mit Hirschtalg verwöhnen und Zähne putzen, Rucksack verpacken noch mal alles kontrollieren. Inzwischen kommt Leben in die Bude. Vier Mädels beginnen ebenfalls mit ähnlichen Tätigkeiten wie wir. Der ältere Pilger ist bereits in die Dunkelheit gezogen. Wir warten noch etwas ab, bis es draußen hell wird. Das ist um 6:50 Uhr der Fall. Wir verabschieden uns mit dem Pilgergruß von der Jugend und starten in den Tag. Es geht durch Neda und dann etwas höher gelegen in Richtung Fene weiter. Von hier man wunderschöne Ausblicke auf die Ria de Ferrol (Ria ist ein Meeresarm, der ins Landesinnere hinein ragt). Noch ist am Himmel eine fast geschlossene Wolkendecke zu sehen, aber es tun sich ab und zu schon erste hellere Fenster auf. Nun passieren wir öfter traditionelle Waschhäuser und schlängeln uns von der Höhe abwärts nach Fene. Auf der anderen Straßenseite lacht uns die Var El Camarote an. Es ist kurz nach 8 Uhr, also durchaus Zeit für ein Frühstück. Zum Kaffee - für mich wieder mit viiiiel Milch gibt es Croissants und den Pilgerstempel. Einen Herrn bitten wir, mit dem vor der Bar wartenden Pilger ein Foto zu machen. Zudem schenkt er uns noch eine Jakobsmuschel. Erneut sind wir erstaunt über die Freundlichkeit der Menschen hier. Wir verabschieden uns und lassen den urbanen Siedlungsraum hinter uns. Es geht aufwärts in die Natur. Vor uns liegt ein Stück Eukalyptuswald dessen Luft wir inzwischen sehr lieben. Kurz darauf kaufen wir in einer Tankstelle Wasser und ich richte meinen rechten Schuh samt Socke noch einmal her. Dann geht es weiter großzügig um ein Gewerbegebiet herum. Ein Vater mit Sohn überholt uns und hinter uns hören wir die lauten Stimmen einer Jugendgruppe. Und dann passiert es: wir folgen den beiden und verpassen prompt eine Markierung. Zum Glück laufen wir nicht zu lange in die falsche Richtung. Zu viert werden wir von einer Spanierin wieder auf den rechten Weg gewesen. Dabei kommen wir ins Gespräch und erfahren, dass sie aus New York kommen. Doch schon bald trennen sich unsere Wege, die beiden möchten eine Kleinigkeit frühstücken. Olli und ich gehen weiter bis nach Pontodeume. Auf der rechten Seite einer Parkanlage sehen wir die Jugendgruppe, die ebenfalls eine Rast macht. Wir atmen auf, denn wir haben schon befürchtet, dass wir keinen Platz in der Herberge von Mino mehr bekommen. Das idyllisch an der Ria de Ume gelegene Städtchen ist mittelalterlich geschmückt, denn es findet am Wochenende ein entsprechender Markt statt. In der Tourist-Information erhalten wir von einer sehr freundlichen Mitarbeiterin unseren Stempel. Leider sind wir zu einer blöden Uhrzeit hier, denn in allen Bars gibt es erst ab 13:00 Uhr etwas zu essen. Glücklicherweise bekommen wir in einer mittelalterlichen Bäckerei einen Fladen mit einer Gemüse-Thunfisch-Füllung, der sehr lecker ist. Nun wird es heftig: über einen langgezogenen Anstieg verlassen wir die Stadt und treffen noch einmal auf die Amerikaner, während eine große Schülergruppe an uns vorbeifliegt. Irgendwie bleiben Vater und Sohn dann hinter. Sie wollten, wie wir, bis Mino laufen. Der Weg führt durch herrlich einsame Natur, unterbrochen vom kleinen Siedlungen mit sowohl alten, verfallenen als auch neueren Häusern. Nach einem Golfplatz wird die Autobahn überquert und wir haben einen nicht enden wollenden Anstieg vor uns. hoffentlich sind die ganzen Holzkreuze am Zaun kein schlechtes Omen. Bald sind wir oben angekommen und dürfen das Ganze noch einmal abwärts gehen. Vor uns liegt endlich das Tagesziel Mino. Um zur Pilgerherberge zu gelangen, müssen wir noch einen großen Bogen laufen. Um 13:50 Uhr sind wir nach rund 26 km mit dem heutigen Tagwerk fertig. Die Herberge am Ortsrand ist noch leer. Wir sind die ersten Pilger für heute. jetzt folgt die tägliche Routine: Bett aussuchen, duschen, waschen. Gegen 15:00 Uhr trifft der Hospitalero ein und bittet uns, um 20:00 Uhr hier zu sein. Inzwischen ist eine weitere Stunde vergangen und es kommen noch zwei Spanierinnen in die Unterkunft. Wir sind gespannt, wie viele Pilger heute hier übernachten. Während auf der Wäscheleine unsere Sachen die Nässe verlieren, ruhen wir uns noch etwas aus. Gleich gehen wir in die Stadt, um etwas zu essen. Übrigens, hatte ich fast vergessen: seit heute Mittag begleitet mich Bernd, eine Blase an der rechten Ferse, hat sich ganz unbemerkt eingeschlichen (der Name hat nichts mit mir bekannten Personen mit diesem Namen zu tun).
Nachtrag: da wir in der Stadt nichts zu Essen finden, plündern wir den örtlichen Supermarkt. Unsere Beute: Cerveza, queso, fuet,pan. Und beim Verzehr vor der Herberge werden wir noch von den vier jungen Spanierinnen überrascht, die sich heute auch schon früh für den Abmarsch vorbereitet hatten.

Freitag, 1. Juli 2016

Die letzten Betten gehören uns

Nach einer ruhigen Nacht werde ich durch das Summen meines Handys wach. Meine Frau Susanne schickt mir um 6:30 Uhr liebe Wünsche für den Tag. Da ich sowieso noch im frühmorgendlichen Trott des Dienstes bin, habe ich mit der Uhrzeit kein Problem und bereite mich ganz allmählich auf den Tag vor. Olli und ich haben 7:30 Uhr ausgemacht und wer fertig und abmarschbereit ist, meldet sich beim anderen. So machen wir uns gegen 8:00 Uhr auf dem Weg zum Busbahnhof. Dort treffen wir in der Schlange vor dem Ticketschalter noch einmal die beiden Saarländer, die in diesem Jahr auf dem Camino del Norte laufen wollen. Wir kaufen zwei Tickets nach Ferrol und warten auf den Bus mit der Nummer 2626, der pünktlich um 9:15 Uhr abfährt. Die Fahrt verläuft überwiegend über die Autobahn und dauert 1:20 Stunden. Vom Busbahnhof sind es noch ein paar Schritte bis zum Startpunkt des Camino zu absolvieren. Unterwegs kaufen wir Wasser und Obst ein. Am Hafen erhalten wir neben dem ersten Stempel auch noch hilfreiche Hinweise von zwei jungen Damen in der Tourist-Information und einen Cafe con leche später ist es um 11:00 Uhr soweit: wir starten unseren Camino. Inzwischen hat auch der seit dem Ausstieg aus dem Bus begonnene Nieselregen aufgehört. Es geht zunächst zur Iglesia de San Francisco, wo wir den gerade laufenden Gottesdienst nicht stören möchten. Direkt nebenan ist aber noch eine Kapelle geöffnet, die wir uns anschauen. Es bleibt auch noch Zeit für ein kurzes Gebet für einen guten Weg. Wir durchlaufen danach eine belebte Einkaufsstraße und an einem Marinearsenal vorbei. Einmal erwecken wir anscheinend den Eindruck, dass wir nicht mehr weiter wissen. Das nimmt sich ein älterer Herr zum Anlass, uns den rechten Weg zu weisen. Die Menschen sind zu uns sehr nett und entgegenkommend. Schließlich erreichen wir das Kirchlein Santa Maria de Caranza und einen kleinen Park. Ab hier verläuft der gut markierte Weg entlang der Küste mit Blick auf den Güterhafen. In einer Bar Genehmigungsantrag Cardio mit Serranoschinken und bekommen einen weiteren Stempel die Hälfte wäre nun geschafft etwas später passieren wir das Kloster und die Kirche San Martino. Wir unterqueren die Autobahn und wandern durch einen Eukalyptuswald, es riecht irgendwie nach Bonbon. Jetzt lässt sich auch die Sonne ein wenig durch die dichte graue Wolkendecke blicken Zu guter Letzt erreichen wir Xubia. Dort werden wir durch Hinweisschilder auf eine provisorische Strecke gelenkt und laufen an der Hauptstraße durch den Ort. An der Kirche verliere ich die Nerven und biegen nach rechts ab - nach Studium meiner digitalen Karte. Diese Entscheidung war goldrichtig, denn wir stoßen auf eine Fußgängerbrücke, hinter der sich unmittelbar die öffentliche Herberge befindet. Es ist jetzt 15 Uhr und der Vorraum der Herberge ist mit einer Jugendgruppe belegt, die wild durcheinander auf Spanisch diskutiert. Auf meine Anfrage in Englisch, ob die Rezeption offen sei, ernte ich nur erstaunte Blicke. Anscheinend spricht keiner der jungen Leute Englisch oder sie wollen es einfach nicht. Naja, dann eben nicht. Olli belegt im Schlafsaal die anscheinend letzten zwei freien Betten für uns, auf denen wir unsere Habe ausbreiten. Danach ist Körper- und Materialpflege angesagt, dazu werden die Betten noch für die Nacht mit einem Einmalüberzug präpariert. Dann heißt es warten, bis die Rezeption von 20:00 Uhr bis 20:30 Uhr alle Übernachtungsgäste zur Registrierung erwartet. Irgendwann stellt sich bei uns ein Hungergefühl ein und es zieht uns in die Pension Maragoto, wo ein Pilgermenü für 9 € angeboten wird. Wir müssen allerdings noch ein halbe Stunde warten, denn die Küche öffnet erst um 19:00 Uhr. Die Wartezeit vertreiben wir uns mit einen Estrella. Dann gibt es eine Gemüsesuppe, Schweinebraten mit Pommes und ein Eis. Dazu bekommen wir eine ganze Flasche Vino Tinto gereicht. Nach dem Essen schaffen wir es gerade noch so, uns registrieren zu lassen. Von den 24 belegten Betten sind wir die einzigen Nichtspanier. Die Jugendlichen wollen gleich noch kochen, und es idt schon 21:00 Uhr. Wir sind gespannt,  ob wir bald Ruhe finden.